Ein Mann wie der Wind

domkeEs ist an der Zeit, einen ziemlich vergessenen Autor, wenn nicht schon zu preisen, dann doch wenigstens an dieser Stelle zu erwähnen: Helmut Domke. Bislang findet man seinen Namen im Internet fast nur in Literaturlisten, seine Bücher gibt es bloß noch antiquarisch. Lediglich das Westfälische Autorenlexikon verrät ein wenig mehr über ihn: 1914 in Recklinghausen geboren, 1939 promoviert, vom Weltkrieg schwerbeschädigt, 1986 gestorben. Domke war Feuilletonist, vor allem aber hat er Reiseführer verfaßt, Reiseliteratur eigentlich, im besten Sinne schwülstig, in ihrem hohen Ton heute mitunter allerdings unfreiwillig komisch. Seinem kunsthistorischen Anspruch wird er nicht immer gerecht, und trotzdem: Es lohnt sich, seinen Domke im Reisegepäck zu tragen. Kennengelernt habe ich ihn vor zwei Jahren bei einer Burgundreise. Susanne hatte sein Burgundbuch dabei, und ich habe es mir nicht nehmen lassen, meinen Gefährten (Domkeleser passen ihren Duktus rasch an) entsprechende poetische Schilderungen unserer Etappenziele vorzutragen. Sie haben mich zur Strafe als ,unseren Domke’ verspottet, aber ich habe das als Ehrentitel genommen.

Zurück in Berlin habe ich ein paar seiner Bücher erstanden, und als es jetzt ins Münsterland ging, war Domkes Buch Feuer – Erde – Rote Rose. Westfalen und Land an der Ruhr natürlich mit von der Partie, auch wenn Schöppingen darin nur kurz als „ein kleines Nest abseits der großen Straße“ aufgrund des in der „bescheidenen, etwas erhöht gelegenen Dorfkirche“ hängenden Altarbildes erwähnt wird. Gekauft hatte es ich ohnehin und eigentlich in der Hoffnung auf skurrile Betrachtung industrieller Landschaften, doch gelesen habe ich nun Domkes durchaus eindringliche Schilderung von „Münsters tragische[r], verwirrte[r] Epoche, als die Kleinbürgerschaft und Handwerker der Verführung einiger Demagogen und Wirrköpfe erlagen“, als Münster also zum Neuen Jerusalem der Wiedertäufer wurde, und weitere hübsche Abschnitte. Allein die Feststellung, daß der Wind im Münsterland keinen Namen trägt, daß er „weder Tramotan, Mistral noch Marin oder ähnlich heißt“, verdient eine Würdigung in Form eines längeren Zitates:
Seegeboren, schaumgeboren wie Aphrodite rast er über die Küsten und das flache, wehrlose Holland heran. Allein, wenn er in Westfalen einfällt und die Schöpfe der Bäume hochwirbelt, hat er nicht nur die Nationalität gewechselt. Dann ist er der große Zornige, ein diesem Land zugehöriger Atem. Hört doch, wie er im November um die Giebel der Bauernhäuser poltert oder um die Turmkammern der Wasserschlösser. In solchen Stuben, die dem Himmel nur ein wenig näher gerückt sind, muß man ihn erleben, das genügt bereits. […] Gut, daß ein Balkengefüge im Mauerwerk steckt. Ächzend wiegt sich das Gemach, wiegt sich das ganze Bauwerk unter jedem der Stöße, schwankt die Beleuchtung, die elektrische so gut wie Wachslicht. Wie einsichtig jeder, der noch eine Kerze besitzt! Er kann am Flackern der Flamme spüren, daß der Sturm keine äußerliche Gewalt, sondern eine innerliche ist, die alles aufrührt, nichts unverwandelt läßt und bis in die geheime Bangnis der Gedanken bläst. Wie ist man den Naturelementen dann nahe! Nicht den sichtbaren wie Brandung, Lawine oder Feuersbrunst, sondern den anderen, die anonym bleiben – der Wind ist ein gestalt- und gesichtsloser Feind. Ob die Ängste, die hierzulande die Leute bedrängen, aus diesem Grunde so unabwendbar aus dem Unbestimmten kommen? Ob der Wind um dieser Eigenschaft willen namenlos blieb?

Münsterländer, nennt Euren Wind doch Domke, diese Ehre hätten beide verdient!

Zitat aus: Helmut Domke: Feuer – Erde – Rote Rose. Westfalen und Land an der Ruhr. München 1959. S.309f.

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Ein Gedanke zu „Ein Mann wie der Wind

  1. Ich hatte Helmut Domke zur Vorbereitung meiner Reise in die Provence gelesen.
    Ich war bezaubert von ihm und seiner Sichtweise,- seiner Art zu schreiben.
    Nie hätte ich gedacht, daß man 2 seiten über eine Zikade schreiben kann ohne daß es auch nur ansatzweise lagweilig würde.
    Hilde Frick

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