Sommerende

Ein blauer Tag, der Sommer läßt nach, aber nur äußerlich, und vor neunundsechzig Jahren war auch ein blauer Tag, an dem begann der Zweite Weltkrieg, und auf dem diplomatischen Parkett rumort es wieder, denn der Osten spielt mit den Muskeln, während sich der Westen im Fitneßstudio sammelt, ein Hurrikan zieht auf, und Wladimir Putin schießt einen sibirischen Tiger bewußtlos, und wir haben uns gerade auf den Sommer eingerichtet, ein buntes Badelaken gekauft, und schon verliert der Baum vorm Fenster die ersten Blätter, und wir waren immer noch nicht am See, und ich wollte doch nur schnell was essen fahren, und es war doch grün, und beim Aufprall fehlt noch der Schmerz, der kommt später, am Anfang ist die Empörung, daß das gerade passiert, daß das gerade mir passiert, und das Gesicht im Asphalt und der Blick auf die Ampel, ich habe doch grün, ich war doch im Recht und eben noch EM, danach Tour de France, die hab ich nicht gesehen, ich bin doch nicht gedopt, und jetzt schon Olympia, Abschlußfeier, ist doch alles gefälscht, David Beckham mit Gitarre, und die Strandbar im fünften Stock, und das Gewitter dort hinten, wo ich wohne, aber hier scheint die Sonne, und ein Glas auf alle und auf die Wunder dieser Welt, und das Jucken unterm Gips, und einer, der so gut aussieht wie du, nein, ich gebe kein Geld, auch nicht für Komplimente, und hier fährt kein Zug mehr, und der Zeuge, der gegen einen aussagen wird, wohl ein farbenblinder Busfahrer, und die Party mit den Freunden, die längst keine Freunde mehr sind, was hat uns früher eigentlich verbunden, irgendwie habe ich da was nicht mitbekommen, warum eigentlich nicht? Und das Lachen des Lords, ja, der war früher ‘ne große Nummer und tut aber so, als sei er’s noch immer, und das ist auch gut so, und das beruhigende verschlafene Lächeln im Kissen nebenan, und im Fernsehen kochen sie und kochen und kochen, XXL heißt der neue Trend, in jedem Kaff ein XXL-Lokal, und das Küchenfernsehen berichtet, Friteusen für Millionen, essen bis der Arzt kotzt, mit diesem Schnitzel können Sie sich zudecken, Geschmack ist eben doch nicht alles, und jetzt noch ein Stück Kuchen, neu aus der Kühltruhe oder ist das doch nur ein Butterblock mit Schokoladenguß? Und noch einen Schnaps aufs Haus, das ist schon einen guten Asphalt uralt wert, und im Tegeler Forst haben sie Schwanskelette gefunden, abgenagt von Riesenameisen, das sagt einer, der es wissen muß, ey, Alter, was machst du denn für ‘ne Scheiße, kannst Du nicht aufpassen? Ist doch scheiße, ey, und ich wollte doch eben nur schnell, und das Krankenhaus darf ich mir aussuchen, in das sie mich bringen, und ich entscheide mich für eins, in dem ich noch nicht war, und der Notarzt legt seine Beine hoch, fragt nach vorne, sag mal, wo fährst du eigentlich lang? Und ich denke, gut, daß es kein Notfall ist, nur der Schmerz im Arm wird stärker, und das Blut aus der Nase trocknet auf der Oberlippe. In der Rettungsstelle liege ich auf dem Gang, und dort stinkt es nach menschlichen Exkrementen, das krieg ich gar nicht mit, mit meiner blutenden Nase, das sagen sie mir nur, dafür entschuldigt sich sogar eine Schwester, und ich höre das Stöhnen des Mannes, der in seiner eigenen Scheiße zu liegen scheint, und ich muß ihn nicht sehen, und ständig ruft wer meinen Namen und meint dennoch nicht mich, es ist ein anderer, ein anderer Thilo, der meinen Arm später dann eingipst, und jetzt ist er vorbei, der Sommer, und den Grillkäse, den ich vorsorglich gekauft habe, um etwas zu haben für eine spontane Verabredung mit dem Feuer, hab ich zu Hause gebraten, gegessen und nur schwer verdaut, darauf einen Dujardin, und so was kauf ich nie wieder, das denk ich jedes Jahr und leg mir den Grillkäse zurecht, das könnte ein Ritual werden, meine persönliche Magenverstimmung als Schlußpunkt des Sommers, wie schnell der doch vergehen kann, das Jahr hat schon schönere Tage gesehen und das Toastbrot auch, das ist nämlich Scheibe für Scheibe verschimmelt, verschimmelt wie die Zitrone, die liegt jetzt im Mülleimer und stinkt vor sich hin. Das Toastbrot liegt darüber, doch stinkt es nicht, nur weiß ich nicht, was soll ich jetzt essen, ich müßte mal los, und mein Fahrrad müßte auch mal repariert werden, und Silke Bischoff könnte jetzt achtunddreißig sein und vollkommen unbekannt, und der damalige Bremer Einsatzleiter des spektakulären Geiseldramas hieß Mordhorst, Mordhorst, ein Polizistenname, den man sich nicht ausdenken dürfte, aber in der Wirklichkeit hat er es weit gebracht und ist jetzt sogar Polizeipräsident Bremens, trotz der Pannen damals beim Einsatz, und man darf nicht nur nicht an Statistiken glauben, die man nicht selber gefälscht hat, mit Zitaten verhält es sich genauso, das ist gar nicht von Churchill, das hat ihm nur Goebbels in den Mund legen lassen, vielleicht, vielleicht auch nicht, und die Volksempfänger schweigen, auf der Internationalen Funkausstellung gibt es jetzt auch Haushaltsgeräte, sprechende Pürierstäbe und so, und Andrang gab es erneut bei den Flachbildfernsehern, die können gar nicht flach genug sein, kein Wunder, bei dem Programm, denn wenn ich schon mal eine Fernsehserie mag, setzt der langweiligste Sender der Welt sie nach fünf Folgen wieder ab und zeigt statt dessen den Dicken und die Zicke, das kann ja heiter werden, im Herbst und im Winter, wo es zu kalt sein wird für den Badesee, an dem wir dieses Jahr noch gar nicht waren, ach, wie schnell das doch gehn kann, wie schnell was vergehn kann, da hast du kaum den Mund geöffnet und schon ist der Sommer wie dieser Satz wieder vorbei.

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