U-Bahn-Party

So vor zwanzig Jahren habe ich mal von einer S-Bahn-Party gehört. Eine Horde junger Menschen stürmte einen S-Bahnwagen und machten ihn zum Festwaggon. Sie hatten Bierkästen dabei, einen Ghettoblaster und vielleicht noch ein paar Dekoelemente. Vorhandene Fahrgäste mußten mitfeiern, ob sie wollten oder nicht.

Seitdem wollte ich auch gern einmal so eine Guerillaparty mitmachen. Anfang der Neunziger planten ich und zwei, drei Gleichgesinnte eine U-Bahnsilvesterparty mit Palettenbier, Knabberkram und Luftschlangen. Leider wollten keiner unserer Freunde mit uns fahren. Weshalb wir damals am Ende einer halblangen Nacht in diversen Verkehrsmitteln auf einer zweifelhaften Feier in Lübars verendet sind. Meine einzige Freude ist ein Laib Graubrot gewesen, dessen Geschmack mich so betört hat, daß ich ihn nicht bloß die ganze Zeit mit mir rumgetragen habe, nein, ich mußte zudem noch jeden nötigen, von dem Brot zu kosten.

Erst neulich erfuhr ich durch Zufall, daß ein mir gut bekannter Weddinger Zampano damals bei der eingangs erwähnten S-Bahnparty dabeigewesen ist. Sofort blühte die alte Idee erneut in mir auf. Um am nächsten Tag gleich wieder zu verwelken.

Am Wochenende war es endlich soweit. Ich war mitten drin in einer U-Bahnparty. Eine Horde junger Menschen stürmte am Bahnhof Warschauer Straße einen Waggon, klebte gelbe Müllsäcke vor die Lampen, hängte eine kleine Diskokugel auf, wuchtete Sternburgkästen auf die Sitze und stellte eine Box daneben, aus der sehr laute Elektrobeats dröhnten. Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Gruppe kreischte, die Gruppe tanzte ein wenig, die Gruppe fotografierte sich gegenseitig mit ihren iPhones. Alle waren bester Laune. Nur einer nicht.

Ich war nämlich gegen Mitternacht übermüdet, aber fröhlich nach der Abschlußfeier der diesjährigen Sommerschreibwerkstatt aufgebrochen, um möglichst schnell in mein Bett zu kommen. Hatte mich mit Gepäck durch die Partymeute auf der Warschauer Brücke gekämpft und danach registriert, daß ich mich ab Möckernbrücke auf Schienenersatzverkehr einstellen mußte. Gerade fing mein Walkman an, mir leise Tönen ins Ohr zu schmeicheln, als ich keinen Ton mehr davon vernahm. Die Box der feierwilligen Meute war lauter. Gerne hätte ich den Waggon gewechselt, doch wie, ohne beim Umsteigen zu riskieren, nicht schnell genug zu sein. Dafür mußte ich mir anhören, was für ‘n Spielverderber ich sei. Klar, mein Koffer stand auf ihrer Tanzfläche, aber der stand ja schon da, bevor es eine wurde.

Ich glaub, für manche Sachen bin ich inzwischen wirklich zu alt.

Teile diesen Beitrag mit der Welt