Abschied von Schöppingen

hofderliteratenhintenHeute bin ich entlassen worden, mein Aufenthaltsstipendium im Künstlerdorf Schöppingen ist abgelaufen, weshalb ich diese Zeilen bereits im Zug schreibe. Natürlich bin ich froh, zurück in die große Stadt zu kommen, doch habe ich in den letzten zwei Monaten das Landleben durchaus schätzen gelernt, wobei ich mich ja in einer gewissen Zwischenzone aufgehalten habe und eben nur auf Zeit, die Kontakte zu den Eingeborenen waren äußerst begrenzt und fanden überwiegend beim Erwerb von Lebensnotwendigem statt, sieht man mal von dem Abend in der Zwiebel ab, nach dem ich eine Weile beim Gang durch den Ort glaubte, ständig auf Leute zu treffen, mit denen ich dort gequatscht habe, doch konnte sich wohl keiner mehr an mich erinnern. Direkt gegenüber von dem Haus, in dem ich gewohnt habe, befindet sich ein großer Supermarkt mit einem der vielen hiesigen riesigen, leeren Parkplätze davor. Wenn die Goudamafia da mal nicht ihre käsigen Finger drin hat! Drinnen herrscht rege Betriebsamkeit, ausgelöst nicht etwa von möglicher Kundschaft, sondern von den unzähligen dort angestellten Frauen. An der Kasse ist es so leer, daß die Kassiererin ihren Platz schon mal verläßt, um mit der Kollegin, die aus Langeweile das Tütensuppenregal umsortiert, zu plauschen und zwar so angeregt, daß sie den unerwarteten Kunden zunächst gar nicht registriert. Irgendwann wird sie aber von einer weiteren Kollegin, die auch nichts zu tun hat und einfach so durch den Land schlendert, jedoch auf ihn aufmerksam gemacht. Das ist ihr dann so peinlich, daß sie sich bei jedem eingescannten Artikel entschuldigt und dem Kunden auch noch ein grellgelbes Schlüsselhalsband aufdrängt. Eine Schlange bildet sich lediglich, wenn Kira dort sitzt. Kira ist neu im Supermarkt und Kasse mag sie überhaupt nicht. Kira ist hübsch, da verzeiht Mann ihr so einiges, und Kira zieht stets eine so mißmutige Fresse, daß ich mich sofort zu Hause gefühlt habe. Ich hätte Kira ja auch vorgeschlagen, mit mir durchzubrennen, aber Kira schaut – denn das wäre vermutlich unter ihrer Würde – keine Kunden an, auch nicht, wenn der zehnte Scanversuch mit einem Streichkäsebecher gescheitert ist und sie deshalb fragt, ob man vielleicht wüßte, was der kostet. Man sagt dann: Vielleicht neunundneunzig Cent, aber Kira ist ja neu, sie will nichts falsch machen, deshalb fordert sie per Durchsage Hilfe an, woraufhin gleich zwei Frauen herbeieilen. Die eine erklärt Kira, daß sie in solchen Fällen die über dem Strichkode stehende Zahl eingeben muß, die andere geht beim Regal nachgucken. Neunundneunzig Cent, zeigt die Kasse an. Neunundneunzig Cent, ruft es aus dem Regallabyrinth. Kira zuckt nicht einmal mit der Schulter und nennt nur gelangweilt den Gesamtpreis meines Einkaufes.
Die Menschen, mit denen ich dagegen viel Kontakt hatte, waren nie gelangweilt, ihr Arbeitseifer war beeindruckend, aber innerhalb meines derzeitigen Geruchsprojektes Landluft mußte ich eben viel über die Felder fahren und ab an und auch im Baggersee abtauchen, um meinen Riechsinn wieder zu neutralisieren. Achim, Akos, Claudia, Elena, Esther, Mane, Massum, Jörg, Tina, Oxana, Silvia – es war mir ein Vergnügen, Euch alle kennenzulernen, was ich nicht nur schreibe, weil ich damit rechnen muß, daß die eine oder der andere von Euch hier mitliest.
blickaufhorstmar
Auf die Dauer wäre ein Leben auf dem Land gewiß nichts für mich, irgendwann würde es auch keinen Spaß mehr machen, auf Parties der Katholischen Landjugend zu gehen. Die am Samstag war aber toll. Wir vom Künstlerdorf haben den Altersdurchschnitt erheblich angehoben, nur der Vikar im weihrauchfarbenen Sakko konnte wohl mit uns mithalten, aber der wurde wenigstens höflich gegrüßt, auf uns wurde lediglich mit Fingern gezeigt. Die Musikauswahl war erstaunlich ausgeglichen, zwischen synthetischen Dorfdiscogerumpel gab’s Musik, zu der einige der Anwesenden vielleicht sogar gezeugt worden sind. Ich fühlte mich jedenfalls um viele, viele, viele Jahre zurückversetzt, Westerland, Like a Prayer, Summer of ’69, um mich herum lauter Sechszehnjährige und angewiesen auf eine Mitfahrgelegenheit, denn das Risiko, vorm ehemaligen Bahnhof Laer-Horstmar im Regen zu stehen und nicht weiterzuwissen, war einfach zu groß. Irgendwo in der Dunkelheit gab es zwar eine Nachtbushalte, Wartezeiten von mehreren Stunden waren aber wahrscheinlich.
schoeppingenschildNee, Schöppingen ist schon schön. Die ländliche Ruhe ist wahrlich bemerkenswert, besonders wenn man am Alten Rathaus vorm Eiscafé sitzt und die zwanzig Laster von Westfleisch vorbeirauschen. Den asthmatischen Hahn, der ab Sonnenaufgang in Minutenabstand an seine Existenz erinnern muß, könnte dort eigentlich mal mitfahren. Im September soll aber die Umgehungsstraße fertig sein, da brechen gewiß paradiesische Zeiten im Ort aus.
Doch hey, Kreisverwaltung Borken, es ist ja total toll, daß es bei Euch so viele Radfahrweg gibt, die alle zwanzig Meter ausgeschildert sind, aber manchmal wäre es auch praktisch zu wissen, wohin diese Wege führen. Immerhin enden sie nicht auf einem Bauernhof, trotzdem.
Derweil frißt sich der Intercity in düsteres Wetter hinein. Toll! Aus dem Regen in den Regen. Windräder weisen den Weg. Wieso eigentlich Intercity? Kurzer Blick auf den Reiseplan: Münster, Osnabrück, Bünde, Bad Oeynhausen, Minden, Hannover, Wolfsburg, Stedal und drei Mal Berlin, okay, zweieinhalb Mal Berlin. Gut, Berlin wird ja nachgesagt, zwei Citys zu haben und der Zug hält am Hauptbahnhof, was irgendwo dazwischen liegt, aber das bezieht sich ja wohl kaum auf den Zugtitel. Hannover hat übrigens die meisten Umsteigemöglichkeiten, was ja wenig verwunderlich ist.
Auf der Zugtoilette gibt’s eine Steckdose, eigentlich für Rasierapparate, aber wer bitte rasiert sich in einem wackelnden Zug? Wer allerdings keinen Sitzplatz mit Steckdose ergattern konnte, kann sich ja hierhin begeben, um das Handy aufzuladen oder um seinen elektrischen Tischgrill anzuschmeißen. Die Mitreisenden werden es ihm danken, von den Inkontinenten einmal abgesehen.
Ab Spandau schleicht der Zug durch den Westen Berlins Richtung Hauptbahnhof. Ich nehme an, das tut er auf Order von Hartmut Mehdorn, um den Fans vom Bahnhof Zoo noch mal so richtig zu zeigen, wer bei der Bahn wen abfertigt. Bei diesem Tempo könnte man auch problemlos aus dem Zug springen, würden nur die Türen nicht klemmen.

Teile diesen Beitrag mit der Welt