Hier ist Berlin!

Heute vor 50 Jahren ging die ZDF-Hitparade auf Sendung. Bevor ich ihr regelmäßiger und leidenschaftlicher Zuschauer wurde, sollten noch einmal gut zehn Jahre vergehen. Aber heutzutage lässt sich auch längst Vergangenes zurück auf den Bildschirm zaubern. Daher erlaube ich mir eine oberflächliche und doch beispielhafte Betrachtung.

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Hier und Da. Notizen aus einem Land, in dem es stinkt.

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Kann man Nazis wiederverwerten?

Ich habe langsam keine Lust mehr. Das kann doch echt nicht sein! Bin ich umgeben von Idioten? Umzingelt von Schlechtmenschhorden, die den letzten Rest Anstand und Moral, der durch ihre matschigen Denkorgane schlingerte, gegen ein paar Pullen warmen Fusel der Marke Extraübel eingetauscht haben? Ich schalte morgens das Radio an, und im Radio sagt ein Oberschlauer mit osteuropäischem Akzent, alle Fremden, die nach Deutschland kämen, täten das illegal, weil ihr Herkunftsland ja ein sicheres sei. Nur meint er mit Herkunftsland das letzte Land, durch das sie gereist sind, also Österreich zum Beispiel. Weiterlesen

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100 Jahre Dada

Cabaret Voltaire 1916
Eine Nachstellung von Marcel Jancos verschollenen Gemälde »Cabaret Voltaire«, 1916. (c) Susanne Bax

Das Lokal war überfüllt; viele konnten keinen Platz mehr finden. Gegen sechs Uhr abends, als man noch fleißig hämmerte und futuristische Plakate anbrachte, erschien eine orientalisch aussehende Deputation von vier Männlein, Mappen und Bilder unterm Arm; vielmals diskret sich verbeugend. Es stellten sich vor: Marcel Janco der Maler, Tristan Tzara, Georges Janco und ein vierter Herr, dessen Name mir entging. Arp war zufällig auch da und man verständigte sich ohne viel Worte. Bald hingen Jancos generöse »Erzengel« bei den übrigen schönen Sachen, und Tzara las noch am selben Abend Verse älteren Stiles, die er in einer nicht unsympathischen Weise aus den Rocktaschen zusammensuchte.

Hugo Ball: Die Flucht aus der Zeit, 5. Februar 1916.

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Gras über Narben der Geschichte

Hier wohnte Amon Göth
Hier wohnte Amon Göth

Das Haus von Amon Göth wird derzeit grundsaniert. Es ist auch in einem äußerst schlechten Zustand. Dem Dach fehlen sämtliche Balken, einigen Fenstern die Scheiben. Man könnte meinen, der Abriss stünde kurz bevor, doch der neue Eigentümer plant den Umbau zu einem Mehrfamilienhaus. Bald werden wieder Menschen in der Villa eines Massenmörders wohnen. Wie sich das wohl anfühlt?

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Im Keller Deutschlands

Dienstag war in Krakau wohl der letzte richtige Sommertag. 32°C im Schatten. Doch dort, wo ich Dienstag hingefahren bin, gibt es keinen Schatten, obwohl ein metaphorischer Schatten für immer über diesem Ort liegen wird. Denn Dienstag war ich in Birkenau. Manche müssen bei diesem Ortsnamen kurz nachdenken, nicht so wie bei Auschwitz. Auschwitz ist der Inbegriff des Bösen, aber die Vernichtung fand in Birkenau statt. Weiterlesen

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Das unsichtbare KZ und Schindlers Fabrik

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Platz der Helden des Ghettos (Plac Bohaterów Getta)

Auf dem großen Platz, an dem der Verkehr mehrspurig vorbeilärmt, stehen 33 überdimensionierte Stühle aus Bronze. Geometrisch angeordnet, sind sie ein beliebtes Fotomotiv fröhlicher Touristen. Dabei stellen sie ein Symbol dar für eine ewige Leerstelle. Denn die Besitzer der originalen Möbelstücke, die hier im März 1943 abgestellt wurden, haben sich nie wieder auf ihnen niederlassen können. Sie wurden in das nahegelegene Arbeitslager und spätere KZ Płaszów verschleppt oder gleich von der SS erschossen. Weiterlesen

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Gerhard Schröder – zehn Jahre Misstrauen

Heute jährt sich das mit Absicht verlorene Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Schröder zum zehnten Mal. Gleichzeitig ist dies der Tag, an dem die Handlung meines ersten Romans einsetzt. Den habe ich damals einen »historischen Gegenwartsroman« genannt, weil er das nun mal ist: erlebte Geschichte erzählt im Präsens.

Mein ursprünglichen Plan, in Echtzeit zu schreiben, musste ich bald aufgeben. Weiterlesen

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Reichstagswrap

IMG_4941Heute vor zwanzig Jahren haben Christo und Jeanne-Claude damit begon­nen, den Reichstag zu verhüllen. Zwei Wochen später habe ich mich morgens um halb vier Uhr in eine Schlange von 6.000 Irren eingereiht, die einmal um das Gebäude reichte, um mir eine wrapped Reichstag-Graphik von dem Verhüllerpaar veredeln zu lassen. Arrogant wie ich mit 22 war, spotte ich damals zwar, das sei „Publikumsverarschung im breitesten Sinne“ und zweifelte an, ob Einpacken wirklich Kunst sein könne. Weiterlesen

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Wir provinziellen Spießer

Yeah, das hätte ich dieser Stadt gar nicht zugetraut! Der Horizont der meisten Berlinerinnen und Berliner geht also doch weiter als bis zum Gartenzaun und reicht über die gesamte Weite des Tempelhofer Feldes. Und auch der Urberliner Taxifahrer muss seinen Standpunkt neu überdenken. Er meinte nämlich, all die Neuberliner würden sich nicht für ihre Stadt interessieren und nur provinziell denken – Dorfstraße hoch, Dorfstraße runter, Ende Gelände. Und ich dachte immer, Taxifahrer hätte eine gute Menschenkenntnis. Na ja, mich hat er ja ooch für einen Zugezogenen gehalten.
Wahrscheinlich wollte einfach niemand die Beschimpfung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh auf sich sitzen lassen, der vor ein paar Tagen den Bebauungsgegnern »provinzielle Spießigkeit« vorgeworfen hatte. Wo ja das, was das Feld auszeichnet, vieles ist, nur nicht egoistisch. Es gibt in Berlin wohl keinen anderen Ort, an dem so viele Leute sie selbst sein können, ohne andere zu belästigen.

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