Auf dem großen Platz, an dem der Verkehr mehrspurig vorbeilärmt, stehen 33 überdimensionierte Stühle aus Bronze. Geometrisch angeordnet, sind sie ein beliebtes Fotomotiv fröhlicher Touristen. Dabei stellen sie ein Symbol dar für eine ewige Leerstelle. Denn die Besitzer der originalen Möbelstücke, die hier im März 1943 abgestellt wurden, haben sich nie wieder auf ihnen niederlassen können. Sie wurden in das nahegelegene Arbeitslager und spätere KZ Płaszów verschleppt oder gleich von der SS erschossen. Der heutige Platz der Helden des Ghettos (Plac Bohaterów Getta) im Krakauer Stadtteil Podgórze war ein zentraler Ort im von den Deutschen 1941 eingerichteten jüdischen Wohnbezirk, letztlich nur ein Wartelager auf dem Weg in die vorgesehene Vernichtung. Das eigentliche jüdische Viertel Krakaus befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite der Weichsel.
Dieses Kazimierz war jahrhundertelang eine eigenständige, jüdisch geprägte Stadt, wovon heute noch zahlreiche Synagogen und zwei Friedhöfe zeugen. Der Charme alter Gebäude mit unsanierten Fassaden und hippe Gastronomie locken Besucher aus aller Welt an, die in großen Gruppen durch die engen Straßen ziehen oder sich in kleinen Elektrofahrzeugen durch die Gegend kutschieren lassen. Die vielsprachigen Ortsbeschreibungen ertönen dabei vom Band.
Seiner ursprünglichen Bevölkerung beraubt, verfiel Kazimierz zunehmend. Erst die Dreharbeiten Steven Spielbergs im Frühjahr 1993 scheinen die Krakauer an das bis dato fast vergessene Kapitel ihrer Stadtgeschichte erinnert zu haben. Von meinem eigenen Besuch im Herbst 1991 weiß ich nicht mehr viel. Damals sind wir durch trostlose, menschenleere Straßen gegangen. Alles war grau, wie auch der Rest Krakaus.
Obwohl die Häuser des ehemaligen Ghettos weitgehend erhalten sind, drehte Spielberg die entsprechenden Szenen für Schindler’s List in Kazimierz, weil sich dort noch weniger verändert hatte. Er konnte auch das in Podgórze gelegene Gebäude von Schindlers ehemaliger Fabrik nutzen und sogar dessen Wohnung unweit des Wawel. Eine an der Selektionsrampe von Auschwitz spielende Szene wurde aus Pietätsgründen vor dem markanten Torgebäude des Konzentrationslagers gedreht.
Hier offenbart sich die Problematik eines Films, der – nach Authentizität heischend – Originalschauplätzen nutzt und letztlich doch geschichtsverfälschend ist. Deutlich wird dies auch am Nachbau des KZ Płaszów und der Kommandantenvilla Amon Göths an falscher Stelle, weil der historische Steinbruch als Hintergrund mehr hermacht. Wobei all das hinnehmbar ist. Deutlich schwieriger verhält es sich mit dramaturgischen Veränderungen bezüglich der Personenkonstellation. Natürlich ist dies gelegentlich durchaus sinnvoll, gefährlich wird es aber, wenn Hollywood Ausgangspunkt einer historischen Neubewertung wird. Ein massenwirksames Medium erreicht mehr als jede noch so differenzierte Studie. Übrig bleibt der tränendrüsige Holzschnitt. So initiierte die emotionale Serie Holocaust Ende der siebziger Jahre in Westdeutschland eine neue Form der Beschäftigung mit der Judenvernichtung, die seitdem als »Holocaust« bezeichnet wird.
Den Name Oskar Schindler rief erst der Film Spielbergs ins Bewusstsein der Nachgeborenen, die dankbar sind für Helden, die sich zumindest ein Stück weit der Nazibarbarei entgegengestellt haben. Zweifelsohne ist der Film ein wichtiges Werk der Erinnerungskultur. Und trotzdem bleibt die Fixierung auf die Darstellung Hollywoods auch hier schwierig. Zum Beispiel bleibt Abraham Bankier, vormalige Mitbesitzer der Emailwarenfabrik und treibende Kraft hinter Schindler, im Film unerwähnt (Vgl. dazu diesen Artikel in der Welt). Bankiers Funktion wird im Film dem Buchhalter Itzhak Stern zugeschrieben, der zudem Züge Mietek Pempers trägt (über diesen und seine Rolle in der Geschichte vgl. www.mietek-pemper.de).
Seit 2010 ist das Gebäude der Deutschen Emailwarenfabrik ein Museum. Allerdings beleuchtet die Ausstellung hauptsächlich Krakau zur Zeit der deutschen Besatzung, zweifellos ein interessantes wie wichtiges Thema. Die Geschichte Oskar Schindlers und seiner Liste wird nur am Rand und eher unzureichend auf – wegen grafischer Raffinesse – schlecht lesbaren Tafeln erklärt. Ein Schreibtisch könnte der Oskar Schindlers gewesen sein. Darauf liegende Fotos von ihm deuten dies an, erklärende Worte fehlen. Stattdessen gibt es im gleichen Raum eine Installation mit den Namen der sogenannten »Schindlerjuden«. Eine schlecht beleuchtete Tafel reißt die Geschichte der Liste an. Wirklich gewürdigt werden die Männer hinter Schindlers Großtat darauf nicht.
Das ist umso erstaunlicher, weil der Rest der Ausstellung vor allem auf Effekt angelegt ist. Eine Tendenz moderner Museumsgestaltung, die auch die archäologische Ausstellung unter dem Rynek Główny beherrscht. Das kommt bei Publikum und den Autoren meines Reiseführers bestens an, setzt aber im Grunde die Oberflächlichkeit von Schindler’s List fort. Natürlich kann eine museale Darstellung nicht immer ins Detail gehen. Problematisch wird es, wenn dies versucht wird, im Dekor jedoch untergeht. Welchen Mehrwert haben aufziehbare Schubfächer, die diverse Büroutensilien enthalten, wo es eigentlich um die Germanisierung der Verwaltung geht? Krakau sollte in eine deutsche Stadt verwandelt werden durch die Verdrängung von allem Polnischen. Straßen wurden umbenannt, der Rynek Główny erhielt Schilder, die ihn als »Adolf-Hitler-Platz« auswiesen. Eins davon hängt in der Ausstellung. Dass der entsprechende Raum einen Fußbodenbelag aus Hakenkreuzen hat, wirkt dagegen bemüht und zwar noch mehr als der Nachbau von halben Straßenwagenabteilen, Fotoateliers, Amtstuben, Gefängniszellen und Frisörgeschäften.
Der die Zeit des jüdischen Ghettos abbildende Raum ist durchzogen von einem Nachbau der Mauer, die diesen Bezirk umgab. Zynischerweise war diese der Form jüdischer Grabsteine nachempfunden und symbolisierte somit das den Eingepferchten zugedachte Schicksal. Dunkel ist es hier, was die Lektüre der zahlreichen Augenzeugenberichte nicht einfacher macht. Wohl um deren Authentizität zu unterstreichen sind sie handschriftlich niedergeschriebenen auf zerknüllten und zerrissenen Zetteln, vor allem von Kindern, so auch dem achtjährigen Roman Polanski. Lediglich ein kleine, leicht zu übersehende Bemerkung weist auf das Nachträgliche dieser Form hin. Wirklich konzentrieren konnte ich mich nicht auf die Texte, denn neben den lautstarken Erklärungen mehrerer Führungen in verschiedenen Sprachen ertönen Hundegebell und barsche Befehle auf Deutsch.
Das alles wäre auszuhalten, sollte es der Aufklärung dienen und nicht nur eine folkloristische Wirkung hinterlassen. Von den Besuchern fotografiert wurden vor allem ein altes Fahrrad und ein Minipanzer, mit dem sich die polnische Armee dem deutschen Angriff zu widersetzen versuchte.
Der eingangs erwähnte Platz der Helden des Ghettos ist ein sichtbares Zeichen für die von Deutschen verübten Verbrechen. Der latente Antisemitismus vieler Polen bleibt unerwähnt. Dieser Tage jährte sich ein von der polnischen Bevölkerung verübter Pogrom an gerade erst befreiten Juden zum 70. Mal. Am 11. August 1945 gab es Verletzte und eine Tote beim Sturm auf die Kupa-Synagoge in Kazimierz. Bei meinem Besuch am 13. August 2015 erinnerte an diesem Ort nichts daran.
Ähnlich sieht es dort aus, wo das KZ Płaszów gewesen ist. Es gibt keine Wegweiser und lediglich Schilder, die eine respektvolle Begehung des Geländes gemahnen. Mein insgesamt verlässlicher Reiseführer Krakau von Magdalena Niedzielska-Szurmant und Jan Szurmant (Michael Müller Verlag 2015) weist zu Recht auf diesen Umstand hin, appelliert übertrieben zur Vorsicht bei Begehung des Geländes und macht leider bereits beim Weg dorthin falsche Angaben, die den Besuch unnötig erschweren. Wo die wenigen Reste des Lagers, die Villa Göths und ein Mahnmal zu finden sind, verschweigt das Buch leider, so dass ich etwas hilflos durch die verwilderte Gegend gestapft bin.
Unweit dieses überwucherten Schreckensortes, an dem 8.000 Menschen ermordet worden sind, befindet sich mit dem Krak-Hügel ein idyllisches Ausflugsziel, wo das Grab des mythologischen Stadtgründers vermutet wird. Von hier hat man einen tollen Blick auf Krakau, aber auch auf den Steinbruch. Von dem Leid der insgesamt 150.000 Lagerinsassen zeugt keine Tafel. Dafür muss man schon in die Fabryka Emalia Oskara Schindlera gehen, wo es – natürlich – auch einen Raum gibt, der das von Amon Göth befehligte Lager nachbildet, stilecht mit einem Bodenbelag aus groben Kies.
Am Ende der umfangreichen Ausstellung wird die Befreiung durch die Rote Armee gewürdigt. Jeder Besucher kann sich ein Kärtchen mit rotem Stern bestempeln lassen. Zur Erfrischung dient das Cinema Café im Eingangsbereich, geschmückt mit Bildern von den Dreharbeiten Spielbergs, Klappe und Kappe des Regisseurs sind ebenfalls zu bewundern.
Nachtrag: Über eine späteren Besuch des Geländes von Płaszów berichte ich hier.
Hej,
Als ich vor drei Jahren in Krakau war, trug ich mich mit vielen ähnlichen Gedanken herum. Aber ehrlich gesagt bin ich in Bezug auf Plazow zu dem Ergebnis gekommen, dass es Erinnerung und Nachdenken über den Ort zuträglicher ist, dass dort außer den Hinweisschildern nicht viel steht, weil dies eine weitere Inszenierung wäre. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, Fakten anderswo zu erinnern. ich hab damals übrigens im Galicia Jewish Museum gearbeitet, falls du da noch nicht warst, welches mit zeitgenössischen Fotografien an die jüdische Vergangenheit Galiziens erinnert und habe dort natürlich auch einen anderen Zugang zu den Orten erfahren. das SchindlerMuseumhab ich als geschmacklosigkeit empfunden.
Hallo Regine,
bezüglich Płaszów plädiere ja nicht für eine weitere Inszenierung. Der Ort sollte ein Ort des stillen Gedenken bleiben bzw. werden. Da sich der Plan in meinem Reiseführer als komplett nutzlos erwiesen hat, stand ich sehr hilflos im Gebüsch. Für eine entsprechende Orientierungshilfe in Form einer oder mehrerer Übersichtstafeln wäre ich mehr als dankbar gewesen. So muss ich den langen und vor allem steilen Weg noch ein zweites Mal antreten.