Irritiert

Juhu, ein Verriß auf Zeit-Onlein. Und alles, was Inge Kutter da so schreibt, kann man irgendwie schon so sehen, vor allem, wenn man meinen Roman nicht komisch finden will. Ich verstehe nur nicht, wieso ein scheinbares Zitat aus dem Buch gar keins ist:„Wer sind wir eigentlich?“, fragt Rieke, und Bast überlegt, „die Nullfünfer. Als Analogie zu den 68ern.“ „Bei uns muss was passieren“, sagt Rieke, „irgendwas muss passieren, damit endlich was passiert“, und Bast antwortet, „oder wir sind echte Nullnummern, niemand braucht uns, jedenfalls sagen sie das doch immer, es gibt zu wenige Fachkräfte, aber gleichzeitig keine freien Stellen, nicht mal Praktikumsplätze.“ Aussagen, die sowieso schon nicht mehr taufrisch sind, werden in dieser Plakativität banal.

Ich war selbst erschrocken, wie holprig das daherkommt. Deshalb habe ich mal ins Buch geschaut. Dort steht auf Seite 26:

Wer sind wir eigentlich? fragt sie nach einer Weile, wohl mehr mich als den Topf, obwohl sie diesen anspricht. Ich und du, würde ich sagen, sage ich. Nein, Rieke dreht ihren Kopf zu mir, eher so verallgemeinert. Zwei Nackte? schlage ich vor, zwei sich liebende Nackte beim Kochen. Nein, sagt Rieke und wendet sich ganz um, unsere Generation! Die ist auch nackt, sage ich, so verallgemeinert. Rieke guckt, als gefiele ihr das. Sie stellt den Topf auf den Herd und dreht am Regler. ›Die nackte Generation‹! sagt sie, das klingt auch viel besser als ›Die Nullfünfer‹! Die Nullfünfer? wiederhole ich fragend. Als Analogie zu den Achtundsechzigern, sagt Rieke. Ich nicke, schon verstanden. Rieke nimmt sich einen zweiten Topf, der wohl noch schmutzig ist, denn auch den hält sie unter den Wasserhahn. Aber die Achtundsechziger heißen doch deshalb Achtundsechziger, sage ich, weil sie was getan haben, weil was passiert ist, damals, neunzehnachtundsechzig. Bei uns muß auch was passieren, sagt Rieke, während sie mit dem Schwamm im Topf herumwischt. Nur was? frage ich. Ja, sagt Rieke, irgendwas muß passieren, damit endlich was passiert. Oder wir sind echte Nullnummern, sage ich, niemand braucht uns, jedenfalls sagen sie das doch immer, es gibt zu wenige Fachkräfte, aber gleichzeitig keine freien Stellen, nicht mal Praktikumsplätze.

Und natürlich wirkt das banal, weil vieles, das man so daher sagt, Gelaber ist. Außerdem ist das hier Zitierte der Beginn einer Gesprächspassage, die zweieinhalb Seiten später wie folgt endet:

Vielleicht sind wir das ja, sagt Rieke. Was? Ich schaue sie an. Wir sind die Irritierten, sagt sie, und zwar schon lange, seit dem Moment nämlich, in dem uns bewußt wurde, daß da noch mehr ist als Spiel, Spaß und Schokolade. Dann gießt sie Milch zur Mehlschwitze.

Natürlich ist das ebenfalls banal, besonders, wenn man es aus dem Zusammenhang reißt.

Aber das ist alles nichts gegen den Kommentar, den ein gewisser Peter Schoenau unter die Kritik gesetzt hat:

Ich habe das Buch nicht gelesen, aber wenn das Dialogbeispiel der Rezension für das Niveau des gesamten Werks repräsentativ ist, habe ich auch kaum etwas verpaßt.

Für mich muß Literatur etwas sein, das ich auch nach einem halben Jahrhundert noch lesen und die handelnden Personen verstehen, mich mit ih[n]en freuen, leiden, siegen und untergehen kann – nicht eine zeitgeschichtliche Collage ohne bleibende Aussage.

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