Vergangenen Mittwoch um drei Uhr in der Nacht ist Michael Stein nach monatelanger Krankheit gestorben. Ich habe ihn kaum gekannt, so daß es verlogen wäre, ihn wie einen Freund oder auch nur guten Bekannten zu betrauern. Doch ist mit ihm ein herausragender Bühnenkünstler abgetreten, ein kompromißloser Provokateur, der oftmals besser zu verstören vermochte als zu begeistern, und dessen Aktionen nachhaltiger waren als man das im Augenblick ihrer Durchführung gedacht hätte.Als ich 2002 zu den Lesebühnen stieß und Stein zum ersten Mal bei der Reformbühne erlebte als einzigen dort Auftretenden, der ohne Manuskript am Mikro stand, war ich verwirrt von dem Wortschwall und wußte auch nicht, daß dies aus der Konsequenz heraus geschah, mit geschriebenen Worten nicht das Gewünschte erreichen zu können. Stein ging es stets um Agitation. Seine Stehgreifexegesen von Springerdruckerzeugnissen sollte aufrütteln, zerfaserten aber mitunter, weil er keinen Punkt zu finden schien, denn er hatte noch so viel zu sagen. Stein war eine beeindruckende Persönlichkeit, vor der man Ehrfurcht haben mußte, doch war er offen, ging auf Leute zu, schien sie wirklich für sein Gegenüber zu interessieren, und es machte Spaß, in seiner Gesellschaft zu sein. Er hatte ein umwerfendes Lächeln. Wenn man jemandem überhaupt noch jenen abgedroschenen Schalk im Nacken zu unterstellen wagte, Stein hatte gleich noch einen zur Reserve in einer der Taschen seines Overalls zu stecken. Er experimentierte mit den Möglichkeiten der Bühne. Und so ist es nicht unbedingt die tagesaktuelle Agitation, mit der er in meiner Erinnerung bleiben wird, es sind seine Zaubertricks und jene – auch von den meisten Kollegen – als grenzwertig empfundene Jongliernummer mit Klobürsten, die er angeblich gerade zuvor in den Klos eingesammelt hatte. Daß die schwarzbraunen Fetzen, die sich dabei mitunter von den Borsten lösten, aus einem Schokocremeglas stammten, war dabei egal, denn hier machte einer den Ekel sichtbar und biederte sich nicht bei dem so gerne gleichgültig bleibenden Publikum an. Sein größtes Anliegen war gewiß das Abschaffen der Lohnarbeit, doch kämpfte er zudem für allgemeines kostenloses Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel, die er hierfür zu seiner Bühne machte. Oft erzählte er dann hinterher am Mikrofon von diesen Erlebnissen und gab Tips zum Umgang mit Kontrolleuren. Die schönste Geschichte ist wohl die, in der er den verwirrten Fahrscheinjägern erklärte, er sei Buddhist und hielte sie daher nur für eine Illusion. Und wenn er die Damen und Herren sowie alle Umsitzenden schon schwindlig gequatscht hatte, zog er seinen größten Trumpf: eine gültige Fahrkarte. Auf youtube läßt sich ein Video anschauen, in dem Stein auf einer seiner letzten Stationen Richtung Tod noch einmal zeigt, wie wenig Respekt er vor irgend etwas hatte, nicht einmal vor dem eigenen Sterben. Hier hört man ihn mit seinem wohl wichtigsten Text, dem Gebet gegen die Arbeit, dieser Geißel der Menschheit. Und Bov Bjerg versammelt in seinem Blog Stimmen und Nachrufe. Auch der Tod ist eine Geißel der Menschheit.