Es gibt nur wenige Bands neben den Beatles, die seit zwanzig Jahren zum Soundtrack meines Lebens gehören. Eine davon sind die Goldenen Zitronen. So begannen meine Versuche als Musikjournalist mit einem Interview mit Schorsch Kamerun und Ted Gaier. Daß mein damaliger Kompagnon Helge und ich überhaupt gefragt worden waren und zudem noch eine Vorabkassette des Albums Punkrock bekamen, war gelinde gesagt eine Sensation für uns. Das war fast so gut, wie ein Interview mit den Beatles in Aussicht gestellt zu bekommen. Blöderweise waren wir nicht nur keine Profis, wir verfügten nicht mal über eine Profiausrüstung. Eine Kamera besaß Helge, der eher als Fotograf fungierte, nur ließ sich nirgendwo ein Diktiergerät auftreiben, weshalb ich meinen alten Kinderkassettenrekorder von Universum mitnehmen mußte, für den ich nicht mal ein externes Mikrofon besaß. Doch Schorsch und Ted zeigten sich beeindruckt. Sie stellten das Gerät direkt zwischen sich, so daß die Aufnahme tatsächlich gut wurde. Außer Helge und mir waren noch zwei, drei andere Journalisten anwesend, allerdings schien ich der einzige zu sein, der sich auf dieses Gespräch akribisch vorbereitet hatte. Ein paar Wochen später erschien im Tagesspiegel ein Artikel mit Zitaten, die allesamt aus Antworten auf meine Fragen stammten. Was ich lustig fand, denn die Tagesspiegel-Fotografin protestierte, als Helge neben ihr stehend auch ein paar Fotos der beiden Goldies machen wollte. Deswegen gingen Ted und Schorsch mit uns noch auf den Hof, um sich dort fotografieren zu lassen. Das war Anfang 1991.
Ich habe nie aufgehört, die Goldenen Zitronen zu hören. Allerdings eher ihr Frühwerk aus der Funkpunk- und Punkrockphase. Der Song Für immer Punk wird immer noch auf den Parties der Freunde von damals gespielt, und das Album Fuck You gehört für mich vom Cover bis zum letzten Ton zu einem der wichtigsten, so viel besser ist Sgt. Pepper nun auch wieder nicht. Das Lied Laila ist dank seiner schrägen Sprödigkeit eines der besten Liebeslieder, die ich kenne. „Es ist nicht ihre Haut, die grün oder aus Alu ist…“
Neulich habe ich mir dann das jüngst erschienene Album Die Entstehung der Nacht gekauft und war nach anfänglicher Irritation schwer begeistert. Das ist keine durchweg angenehme Platte, aber eine extrem ausdrucksstarke, die auf der Höhe ihrer Zeit ist, deren Texte so klug sind, daß ich sie am liebsten alle hier zitieren würde. Wenn ich dann im Radio hören muß, daß Jochen Distelmeyer der beste deutsche Songschreiber sei und Spiegelonlein dessen letztes Album zu den besten von 2009 zählt, das von den Goldies aber nicht einmal im Laufe des Jahres rezensiert hat, ahne ich wieder, daß Musikjournalismus nichts mit dem Gespür für gute Musik zu tun hat.
Vergangene Woche war ich dann auf dem ausverkauften Konzert der Goldies im Festsaal Kreuzberg. Das letzte Mal habe ich sie 1991 im Loft gesehen, das war eher enttäuschend. Doch jetzt: eine unglaubliche Wucht. Die Band hinter Schorsch und Ted ist längst eine andere. Und jeder beherrscht jedes Instrument, weshalb zwischen den Songs stets getauscht wird, aber ohne daß dabei lähmende Pausen entstünden. Musikalisch sind sie top, abwechslungsreich, großartig, das aber mit der Energie einer Punkband. Hinzu kommen die zunächst seltsam anmutenden Kostüme der Band, die einerseits anzeigen, daß hier Kunst gemacht wird, andererseits aber die Charaktere der Musiker zu unterstreichen scheinen.
Das älteste Lied, das sie spielen, ist 80.000.000 Hooligans. Es stammt von Punkrock, ihrem Abschied vom Punkrock. Das ist ein bißchen bedauerlich, weil es erahnen läßt, daß diese Band ein Problem mit ihren Anfängen hat. Egal, ich werde jetzt die mir noch nicht bekannten Alben nachholen. Lenin von 2006 kann ich schon mal empfehlen. Doch dazwischen wird es auch immer wieder heißen: „Ich weiß nicht, wem dein Leben mehr wert ist als Dreck, doch wenn du mich fragst, schmeiß es besser weg.“ Dieses Lied richtete sich übrigens an die Funpunkfans mit Oberlippenbart und Smileyshirt. Ein Überbleibsel dieses tatsächlich eher unangenehmen Zeitgenossen hatte sich neulich auch in den Festsaal verirrt, forderte, die Bierflasche schwenkend, den Song St. Pauli Boys und drohte, von der Empore zu stürzen.