Das Glück eines Liedes

maurenbrecherglueckIn letzter Zeit habe ich viel neue Musik gehört, über die ich gerne noch schreiben möchte. Eine alte Idee aufnehmend, möchte ich aber nicht ganze CDs besprechen, ich bin ja auch kein Plattenrezensent, ich möchte mich in meinen Fragmenten jeweils nur einem Lied widmen, obwohl die Auswahl da manchmal schwerfällt. So auch bei Manfred Maurenbrechers neuem, wirklich tollen Album Glück. Trotzdem habe ich mich für das zweite Stück entschieden. Augen habe ich zum ersten Mal gehört und sofort ins Herz geschlossen, als Manfred es neulich bei der Lesershow Wedding gesungen hat, was ja auch kein Wunder ist, schließlich besitze ich die CD erst seit diesem Abend, aber der Song selbst ist bereits vor einundzwanzig Jahren auf Maurenbrechers Album Schneller leben erschienen. Da ich diese Version aber nicht kenne, gilt für mich nur die aktuelle. Wie bei jedem guten Lied hat man auch hier den Eindruck, es bereits seit langem zu kennen, weil es so eine wunderbare Sogkraft ausstrahlt, die den Hörer sofort mit einem Gefühl von Vertrautheit umfängt, auf daß er sich in dieser Musik heimisch einrichte und sei es nur für drei Minuten und fünfzehn Sekunden, doch läßt sich eine Tonkonserve ja sowieso beliebig oft abspielen. Um einen Sog geht es auch in dieser Ballade, um „zwei Augen, / die sind wie ein Brunnen, / in den ich fall und fall und fall.“ Und ja, es sind ja doch meistens Blicke, mit denen sich Liebende verständigen, die biblische Metapher des einander Erkennens ist nicht nur die erste schriftlich fixierte Umschreibung (uh, uh, stimmt das überhaupt?) menschlichen Paarungsverhaltens, sondern auch eine der treffendsten. Aber egal, wer flirtet, wird nicht sofort Körperflüssigkeiten austauschen und darum geht es in Maurenbrechers Lied ja auch gar nicht. Es fängt sogar noch vor dem ersten Blick an.

Wieviel Augen hat der Würfel,
ist die sechs denn besser als die Eins?
Wenn du Glück hast, wirst du’s brauchen,
wenn du’s brauchst, dann hast du keins.

Das Glück muß eben auch zugegen sein, wenn man sich zum ersten Mal anschaut, wie schnell schaut man nicht genau genug hin? Und dann ist da einer, der von sich singt, er sei „keiner zum Vergucken, / keiner für ‘nen kurzen Augenblick“, abgesehen von diesen ganzen unerfreulichen Blicke, tadelnden, blendenden und jenen, denen man gerne auswiche mit spontaner Unsichtbarkeit, bis man dann endlich gesehen wird von „zwei Augen, / die sind wie ein Brunnen, / und ich fall und fall und fall.“
Zu der Instrumentierung muß nicht viel gesagt werden, sie funktioniert einfach, leichter Rhythmus, sanfte Gitarren und ein unaufdringlicher Teppich aus Orgel und Chor, so daß das Stück das Gefühl der Schwerelosigkeit bekommt, die der Text ausdrückt. Und die Melodie? Hach, die ist wunderbar, ein echter Ohrwurm und ein Refrain, der mit dem Inhalt korrespondiert, wie ein Brunnen, in den man fällt und fällt und fällt, aber aufgefangen wird von Maurenbrechers rauer, sanfter Stimme.

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