Bin wieder da, also hier. Und auch wenn ich von zu Hause gekommen bin, war das Zurückkommen ins Döblinhaus wie ein Heimkommen. Was ist so passiert? frage ich die Mitbewohner. Was soll schon passiert sein, nichts, das ist hier ja das Schöne. Immerhin ist der Kampf gegen die Ratten in die heiße Phase getreten. Eine wurde mittlerweile erlegt, die zweite tobte in der Tonne für Verpackungsmüll und durfte gehen. Vorhin habe ich sie aber wiedergesehen, erneut beim Verpackungsmüll. Vielleicht war’s aber auch ‘ne Cousine. Ich schreibe lieber draußen im Garten. Bestes Wetter, aber nur im Garten. In meinem Text hat es gerade geschneit. Hoffentlich kacken mir die Ratten Tauben im Baum nicht wieder auf den Kopf.
StadtLandFlussverschickt
Da klappt doch glatt die Straße hoch
Und kaum ist hier der Sommer ausgebrochen, muß ich auch schon wieder mein Köfferchen packen und durchs Land düsen.
Geballer
Wewelsfleth ist ein sehr ruhiger Ort, besonders in der Nacht. Doch gestern hallten Schüsse durchs Dunkel, dazu raunzte eine fiese Stimme amerikanisch. Glücklicherweise war die Gefahr rein virtuell. Im ersten Stock des Hauses, in dem sich das Blumengeschäft befindet und dessen Fassade nachts sehr hell beleuchtet ist, saß ein Mann neben dem angeklappten Fenster und spielte den Geräuschen zufolge Ballerspiele.
Nachtrag von Montag, 22. Juni
Die Ortskundigen unter den Mitlesenden werden es bemerkt haben. Das nächtens hell beleuchtete Haus ist das neben dem Blumenladen. Es hat keine öffentlich bekannte Funktion, außer daß es das Haus neben dem Blumenladen ist und das Haus neben dem Haus neben der Sparkasse. Und einer seiner Bewohner spielt eben Ballerspiele. Weiterlesen
Schiffe verschenken
Braucht hier jemand zufälligerweise gerade ein Schiff? Die in Wewelsfleth ansässige Peterswerft hat nämlich eins gebaut, und jetzt will es der Auftraggeber nicht mehr haben:
Unser Freund das Atom
Kaum hat man Wewelsfleth in nördlicher Richtung verlassen, kommt einem die am Horizont drohende ›Moschee‹ (Stipendiatensprech, späte achtziger, früher neunziger Jahre) in den Blick: das Atomkraftwerk Brokdorf. Und spaziert man die Elbe Richtung Mündung entlang, steht man sogar sehr bald davor. Dem AKW ist hier in der Wilstermarsch nicht zu entkommen. Und in der wöchentlichen Anzeigenzeitung Dat Keesblatt mahnt Brokdorfs Bürgermeister in einem eindringlichen Appell eine »ideologiefreie Energiepolitik« an. Kernkraftwerke seien wichtige Arbeitgeber. Sie abzuschalten würde katastrophale Folgen für die jeweilige Region haben.
Beim Einräumen der Geschirrspülmaschine frage ich mich, ob es unter solchen Bedingungen vielleicht wirklich okay ist, Atomstrom zu benutzen, schließlich ist das der Strom von hier. Für den mußten keine langen Leitungen gelegt werden, der kommt hier direkt vom Erzeuger. Oder ist alles, was hier tue, sobald Strom dafür gebraucht wird, also die Musik, die ich höre, das Internet, mein Sektquirl und vor allem die Texte, die ich schreibe – ist das alles schon völlig verstrahlt?
Ich bleibe dran, eine Besichtigung ist geplant. Bei einem manipulativen informativen Vortrag soll es dort kostenlos Frühstück geben. Vielleicht ja mit Gemüse aus dem AKW-Garten.
Mein neues Landleben
Neben der Einrichtung für Suchtkranke befindet sich der örtliche Weinladen, und beides liegt vis-à-vis dem Haus für Schriftsteller, in dem ich derzeit wohne. Wenn das mal kein Zeichen ist. In der Küche steht eine klebrige Flasche mit Johannesbeerschnaps, den Frau Keyn, die Haushälterin, regelmäßig ansetzt. Mitbewohner Achim sagt, er habe nach Genuß von zwei Gläschen dieses bonbonsüßen Getränks letzte Nacht besonders tief geschlafen. Weiterlesen
Landverschickt
Das Haus, in dem ich derzeit hinterm Deich wohne, ist nach Alfred Döblin benannt. Aber nicht etwa, weil Herr Döblin hier zumindest mal auf der Durchreise Wasser abgeschlagen hat, er war und ist lediglich der Lieblingsautor des schnauzbärtigen Stifters. Döblin selbst hatte wohl eher eine Neigung nach Süddeutschland. Berlin scheint der nördlichste (und östlichste) deutsche Ort zu sein, an dem sich Döblin längere Zeit aufgehalten.
Es ist aber ohnehin ein Irrtum zu denken, ein nach einem Künstler benanntes Gebäude weise automatisch auf dessen Anwesenheit hin. Im Beethovenhaus in Bonn wurde der gleichnamige Komponist immerhin geboren. Dagegen ist beispielsweise das Fontanehaus im Berliner Märkischen Viertel trotz des Namens ein monströser Betonkasten mit gelben Fensterrahmen, eine Art Mehrzweckhalle für den Stadtrand. Manch ein Literaturinteressierter soll bereits den beschwerlichen Weg ans Ende von Reinickendorf auf sich genommen haben in der Erwartung, ein altes Gemäuer vorzufinden, in dem zumindest ein Hauch von Fontane weht. Tja, dumm gelaufen. Wobei, Beton ist ja auch mal interessant.
Hier im Haus geht zwar nicht der Geist Döblins umher, dafür aber die Geister ganz anderer. Wobei die meisten ja noch leben sollen, nur nicht hier. Im Gegensatz zur Ratte, die man riecht, wenn man am Herd steht, gesehen wurde sie angeblich noch nie. Wie viele Romane hier schon geschrieben oder dann nicht geschrieben wurden, ist kaum an zehn Händen abzuzählen. Der erste aber ist Der Butt, der sogar teilweise hier spielt. Erzählt werden darüber noch ganz andere Geschichten und Anekdoten. Die eine und andere werde ich sicherlich noch aufgreifen. Bleiben Sie also dran, wenn es wieder heißt: Bockblog unterwegs, ein Landverschickter Literat berichtet.
Hinterm Deich
Jetzt bin ich also angekommen und habe Quartier bezogen, knapp hinterm Deich. Das Örtchen hat ungefähr eineinhalbtausend Einwohner, einen eigenwilligen Namen (nämlich Wewelsfleth), eine Werft, eine Dönerbude, eine Mehrzweckhalle, eine Kneipe, zwei Restaurants, einen Friseur, eine Bäckerei, einen Weinladen, eine Einrichtung für Suchtkranke, eine Sparkasse, einen Blumenladen, ein Elektrofachgeschäft, mindestens drei Zigarettenautomaten und zwei Edekas. Zwischen den beiden Supermärkten paßt nur ein schmaler Parkplatz und ein dreihundert Jahre altes, etwas schief wirkendes Haus, das vor fast vierzig Jahren von einem grimmigen Großschriftsteller mit noch größerem Gewissen gekauft und somit vor dem Abriß bewahrt worden ist. Als 1986 das nur fünf Kilometer entfernte Atomkraftwerk Brokdorf ans Netz ging, verließ der Schnauzbart den Ort, hinterließ in der Tiefkühltruhe eine Ratte und dem Berliner Senat das Haus, auf daß dieser in der eingemauerten Stadt lebende Autoren dorthin landverschickte, jeweils drei zur gleichen Zeit. Die Mauer ist längst weg, ich aber bin jetzt hier. Wenn man mit dem Fahrrad am Deich entlangfährt, immer geradeaus, ohne die Möglichkeit abzuzweigen, steigt in einem auch ein gewisses Mauergefühl auf. Allerdings ist diese Begrenzung grüner und es weiden Tiere drauf.
Ich bin dann mal weg.
Aber da, wo ich ab morgen sein werde, soll es auch schon fernmeldetechnische Einrichtungen geben, weshalb ich hoffentlich bald wieder da, also hier sein werde.
Abschied von Schöppingen
Heute bin ich entlassen worden, mein Aufenthaltsstipendium im Künstlerdorf Schöppingen ist abgelaufen, weshalb ich diese Zeilen bereits im Zug schreibe. Natürlich bin ich froh, zurück in die große Stadt zu kommen, doch habe ich in den letzten zwei Monaten das Landleben durchaus schätzen gelernt, wobei ich mich ja in einer gewissen Zwischenzone aufgehalten habe und eben nur auf Zeit, die Kontakte zu den Eingeborenen waren äußerst begrenzt und fanden überwiegend beim Erwerb von Lebensnotwendigem statt, sieht man mal von dem Abend in der Zwiebel ab, nach dem ich eine Weile beim Gang durch den Ort glaubte, ständig auf Leute zu treffen, mit denen ich dort gequatscht habe, doch konnte sich wohl keiner mehr an mich erinnern. Weiterlesen