Berlin hat eine neue Attraktion. Besser gesagt: Die Berliner U-Bahn ist um eine Skurrilität reicher. Denn zumindest in der U2 werden die Stationen seit Neuestem von sogenannten Prominenten angesagt. Das lässt einen schnell mal von der Bank rutschen, sollte man das Glück eines Sitzplatzes haben bei gleichzeitigem Entschluss gegen Eigenberieselung. Weil man vielleicht lesen möchte. Und sogleich schallt es einem fröhlich entgegen: »Hallo hier spricht Dieter Hallervorden. Bei der nächsten Station wartet auf Sie die Kuh Elsa. Und die nächste Station ist – Mohrenstraße.«
Was hat der Meister des Blackfacings da gerade gesagt? Palim palim? Und warum um Himmels Willen? Wirklich lange nachdenken lässt sich darüber nicht. Es sei denn, man steigt aus, um die Kuh Elsa nicht länger warten zu lassen. Die Kuh Elsa stammt übrigens aus ‘m alten Witz vom Didi, und der Witz hat einen noch längeren Bart als der Weihnachtsmann.
Bleibt man jedoch sitzen, radebrecht einem Anastejjscha entgegen, dass die »nächstäh Stazion hisst statt Mitte«. Wobei damit schon zwei der prominenteren Teilnehmer dieses abgrundtiefen Spektakels genannt worden sind. Denn die meisten Promis sind so bekannt, dass sie ihren Beruf dazusagen müssen, damit man sie einigermaßen einordnen kann.
»Ja, hallo ich bin’s, Murat Topal, Ex-Cop und Comedian aus Berlin, und die nächste Station ist das Märkische Museum.« Na, gut dass er’s dazu sagt. Wittenbergplatz wird beispielsweise von einem gewissen Henning Baum angekündigt. Henning Wer? Klüger ist, wer ein Smartphone besitzt, das auch im Untergrund funken kann. Dann stellt man schnell fest, dass Henning Baum einer dieser gesichtsbekannten Schauspieler ist, die man wochenlang auf irgendwelchen Sat1-Plakaten gesehen hat, ohne die Notwendigkeit zu verspüren, neue Batterien für die Fernbedienung zu kaufen, um endlich mal wieder was anderes als Anixe-TV schauen zu könne.
Anixe. Diesen Kanal gibt es tatsächlich. Hier werden Dauerwerbesendungen durch vergessene deutsche Serien aus dem analogen Zeitalter unterbrochen. Aber nie lange. Gezeigt wird dort auch die Uraltserie Drei Damen vom Grill, allerdings nur zehn Folgen aus sieben Staffeln in komplett zufälliger Reihenfolge. Was bei der simplen, ohne jegliche Spannungselemente auskommenden Dramaturgie auch völlig egal. Ein gewisser Thrill wird noch dadurch erzeugt, dass Brigitte Grothum in späteren Folgen ihre eigene Zwillingsschwester mimt, um einen eleganten Gattenwechsel von Günther Pfitzmann hin zu Harald Juhnke möglich zu machen.
Die in stabilen Verhältnissen und Gegenden Aufgewachsenen mögen sich nun fragen, wer bitte Brigitte Grothum ist. Na, fahrt mal wieder U-Bahn: »Hallo hier ist Brigitte Grothum. Sie kennen mich sicher vom Jedermann – im Berliner Dom.«
Na klar! Selbst standhaften Frontstädtern dürfte dieses Wissen schwerfallen. Im Berliner Dom hing früher ein Gemälde des Großen Kurfürsten, auf dem dieser wie Peter Ustinov aussah. Das gehört genauso wenig hierher wie die Information, dass Peter Ustinov im Zweiten Weltkrieg Offiziersbursche von David Niven war, sorgt jedoch dafür, dass in diesem Text auch ein paar echte Stars von Weltruhm genannt werden können.
Und jetzt weiter: »Halli hallo! Hier ist Frank Zander. Und die nächste Station ist Klosterstraße.«
Immerhin, wer länger sitzen bleibt, erfährt, welches die Station mit der höchsten erotischen Aufladung ist: Spittelmarkt. Jedenfalls, wenn Anna-Maria Mühe die Ansage macht. Da will man gleich aussteigen und zurückfahren, um sie noch mal hören zu dürfen. Das geht aber leider nur, wenn man bis Hausvogteiplatz fährt, um auf der Rückfahrt zum Spittelmarkt wieder akustisch verwöhnt zu werden. Doch den Hausvogteiplatz sagt leider Sigrid Nikutta an. Sie ist laut Eigenaussage »die Cheffin der BVG«. Voll prominent also. Und sie findet – das hat sie woanders verkündet – diese Aktion sei ein »echtes Highlight«, weil mit der U2 »unglaublich viele Touristen und auch Nichtberliner fahren«.
Klar, denen werden die Ohren schlackern, wenn sie die Stimmen von Ingo Hoppe und Katrin Dingsda hören! Katrin Dingsda ist übrigens die eine von der Abendschau, dieser Nachrichtensendung, die in Berlin außer von Insassen West-Berliner Seniorenheimen ohnehin kaum einer mehr guckt.
Wenn wenigstens Ulli Zelle, der dienstälteste Reporter des deutschen Regionalfernsehens, was ankündigen dürfte! Den kennt man vielleicht noch, weil wahrscheinlich jeder sich in Berlin Aufhaltende, der nicht schnell genug entkommen konnte, von ihm schon mal zu irgendwas Nichtigem befragt worden ist.
Aber Katrin Dingsda? Das ist die Füllige, die über der Nase so ’ne dicke Falte hat, weil sie sooft ihre Augenbrauen hebt, um ihren Nachrichten vermeintliches Gewicht zu verleihen. Die Frau sollte man eher in Spandau einsetzen. Leider eine andere Linie. Ja, in Spandau ist die Gebürtigendichte noch richtig hoch. In Spandau gibt es ganze Straßenzüge, die werden seit Generationen von den gleichen Familien bewohnt. Dabei sind dort teilweise erst vor zehn Jahren feste Häuser errichtet worden.
Doch die Abendschau kennen sie da alle. Die besten Beiträge der letzten sechzig Jahre erzählt man sich mangels Stromanschlusses sogar weiter. Von Nachbar zu Nachbar, von Vater zu Sohn und von Tante zu Schwester, was in Spandau oft das gleiche ist.
Ja, hier freuen sie sich noch über die Stimmen von Frank Zander, Brigitte Grothum, Otto Waalkes und Didi Hallervorden. Die sind hier voll beliebt und nicht nur bei Kindern. Und auch, dass Jan-Josef Liefers und Marius Müller-Westernhagen jeweils gleich zwei Stationen ansagen dürfen, können sie in Spandau gut nachvollziehen. Weil, das sind ja echte Stars! Außerdem haben sie ja besonders lange Namen, die muss man sich ja auch erstmal einprägen.
Und es kommt noch besser. Bald dürfen die Hörer der Seniorenwelle 88,8 selber die Stationen ansagen. »Hallo, hier ist Kutte aus Spandau. Ich bin der Nachbar von Hotte, der nicht nur mein Cousin ist, sondern auch meine Tante. Lange Geschichte, kompliziert, aber lustig, wenn ich die … Ach so! Ja … Äh … Die nächste Station ist Ruhleben. Oh, ick seh jrade, das wäre Ruhleben jewesen. Willkommen auf dem Abstellgleis, Sie haben hier einen gefühlten Aufenthalt von drei Tagen. Is nich so schlimm. Is halt Spandau. Tschüssikowski, wa?«
Und dann, eines nicht allzu fernen Tages wird Udo Lindenberg die Fahrerkanzel entern und voll losstarten mit dem Sonderzug nach Pankow. Vorbei am Bahnhof Zoo (»Hallo liebe Reisende, hier ist Jan-Josef Liefers«), Potsdamer Platz (»Hallo, ich bin Marius Müller-Westernhagen«), Spittelmarkt (ach ja …), Alexanderplatz (»Hallo hier ist Matthias Schweighöfer«), Senefelder Platz (»Hallo liebe Reisende, mein Name ist Jan-Josef Liefers«), Eberswalder Straße (Hallo, ich bin Franziska van Almsiek«) bis: »Hallo hier spricht Maschine, die nächste Station ist …« Ja, genau. Das kennt ihr sicher aus diesem Lied da.