Über die Dörfer der ferneren Umgebung

Derzeit wohne ich voll im Dorf. Mitten drin in Wewelsfleth. Immerhin halten direkt neben dem Haus gefühlt andauernd Busse. Zumindest morgens und mittags. Für Schulkinder. An der Haltstelle hängen mehrere Fahrpläne jeweils für die ganze Strecke. Allerdings muss man sie genauestens studieren, weil die Linienführung variiert. Der 6531er, der um sechs Uhr 49 am Markt in Glückstadt startet, fährt nicht über die Kaserne, dafür über Borsfleth und Wewelsfleth, wo er auch endet. Doch der um neun Uhr dreißig klappert das Glückstädter Kasernenviertel ab, fährt nach Borsfleth, lässt aber Wewelsfleth aus und schafft es sogar bis nach Itzehoe. Und dann muss man noch darauf achten, ob gerade Schulferien sind oder nicht, denn die meisten Busse fahren nur entweder oder.

Wer in der Zeile verrutscht, kann mitunter lange warten. Allerdings gibt es auch Busse, die gar nicht auf dem Fahrplan vermerkt sind. Von denen erfährt man, wenn man so lange den Fahrplan studiert, bis der Bus, der eigentlich bereits vorbeigefahren ist, zurücksetzt, die Tür öffnet und der Fahrer fragt, wohin man denn wolle.

»Nachher um halb zwei nach Glückstadt, aber laut Plan fährt da nichts.«

»Doch müsste eigentlich! Am besten, Sie stellen sich um eins hierhin und warten. Irgendwas wird schon kommen.«

Also stehe ich zwei Stunden später da und warte. Im ersten Bus, der hält, sitzt der Fahrer von vorhin und sagt: »Kommt gleich!«

Zunächst kommt aber ein Bus aus der anderen Richtung. Dann einer aus der richtigen mit einem falschen Ziel. Dann hält ein Bus nach Brokdorf Wendeplatz. »Wo wollen Sie hin?«

»Nach Glückstadt.«

»Steigen Sie ein!«

»Aber Sie fahren doch …!«

»Nach Brokdorf, aber von dort dann nach Glückstadt. Nächstes Mal sollten Sie besser auf der anderen Straßenseite warten, auf dieser hier halte ich gar nicht.«

Wenig später passiert der Bus das verhasste Atomkraftwerk Brokdorf, die Eissporthalle Brokdorf, die alte Kirche von Brokdorf und schließlich die Sporthalle von Brokdorf, das früher bloß ein winziges Dorf an der Elbe war. Zwischendurch ruft eins der beiden Kinder, die mit mir im Bus sitzen: »Ich hab gedrückt!« Der Fahrer bremst sofort, das Kind springt raus. Weiter geht’s zum Wendeplatz. Hier steigt eine ältere Frau ein.

Nach einer Wartezeit fährt der Bus die gleiche Strecke zurück:  Sporthalle, Sparkasse, Kernkraftwerk, Störsperrwerk. Das Sperrwerk ist eine Brücke, die die Stör abschotten kann vor Elbhochwasser. So etwas passiert etwa 25 Mal im Jahr. Hinter der Stör folgt die Blomesche Wildnis. Wir fahren an der Elbe entlang, die man aber wegen des Deiches nicht sieht. Es geht durch die Klinkerneubauviertel von Glückstadt. Die Fahrt endet am Markt.

Hier kriegt man für sein Fahrgeld wirklich noch einiges zu bieten.

Die Rückfahrt einige Stunden später hat eine völlig andere Streckenführung und dauert noch länger. Der Bus steht bereits an der Starthaltestelle am Glückstädter Markt. Ich wollte eigentlich Glückstädter Matjes kaufen. Doch den guten bekommt man nur in einem bestimmten Restaurant hier am Markt. Weil er aber vom Koch frisch verschweißt wird, geht das nicht in der Küchenpause, die bis halb sechs dauert. Na ja, im Rentnercafé nebenan gab es immerhin Matjesbrötchen.

Fünf Minuten vor Abfahrt öffnet der Busfahrer die Tür. Ich steige ein. Und bleibe der einzige Passagier. In der trostlosen Klinkersiedlung, dem ehemaligen Kasernenviertel von Glückstadt, wo das Krankenhaus verwirrenderweise Klinikum Itzehoe heißt, hält der Bus. Der Fahrer stellt den Motor ab und holt die Thermoskanne raus. Hätte ich ihn nicht vorhin gefragt, ob er wirklich nach Wewelsfleth fährt, wäre ich jetzt nervös geworden.

Nach ein paar Minuten kommt ein Junge an und klopft gegen die Tür. Die der Fahrer sogar öffnet. So sind wir immerhin zu dritt. Dann startet der Fahrer den Motor und weiter geht’s. Wenn auch zunächst zurück, aber am Kreisverkehr nimmt der Bus eine andere Ausfahrt. So sind wir bald in der Blomeschen Wildnis, wenn auch nicht am Deich. Wir fahren ohne Stopp durch Borsfleth. Von hier fuhr früher die Fähre nach Wewelsfleth, als es noch nicht das Störsperrwerk gab. Das ist gerade mal vierzig Jahre her.

Da wäre es wohl nicht so leicht gewesen, mal eben schnell von Wewelsfleth mit dem Bus nach Glückstadt zu fahren und auch wieder zurück zu kommen.

 

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