Ich war neulich im Fernsehen. Live im RBB. In meiner Lieblingssendung, der Berliner Abendschau. Großaufnahme meiner Fresse. Berichtet wurde von einer Feier, deren Gast ich sein durfte. Das Literarische Colloquium in Wannsee feierten seinen fünfzigsten Geburtstag, und viele prominente Autoren, die ich teilweise sehr verehre, waren gekommen. Aber wer war im Fernsehen? Icke. Dabei wollte ich zuerst gar nicht. Und dann wollten die vom Fernsehen mich nicht. Trotzdem kam die Kamera an mir nicht vorbei. War echt kein Problem.
Als ich ankam, fragte mich Ulli Janetzki, der Leiter des Hauses, ob ich nicht einen Rap machen wolle, die Abendschau sei da. Ich und Rap? »Ich kann nicht rappen«, sagte ich wahrheitsgemäß.
»Ach, und was machst du in diesem Clip da im Internet?«
»Singen? Sprechen? Jedenfalls nicht rappen.« Damit war die Sache erledigt. Dachte ich.
Später suchte Ulli nach einem ehemaligen Stipendiaten, den die Abendschau interviewen könnte. Er sah mich an. »Nee, ich brauch ‘ne Frau.«
»Dabei hab ich die Haare schön«, sagte ich. Im Hintergrund schüttelte die Reporterin schmallippig den Kopf.
Später standen doch zwei Männer mit ihr vor der Kamera. Viel prominentere als ich, aber keine die ich verehre. Ich habe das gar nicht bemerkt, sonst wäre ich auch nicht ins Fernsehen gekommen. Weil ich dann darauf geachtet hätte, wer dort auf der Türschwelle zwischen Terrasse und Haus, in das ich hineinwollte, stand: Ein Kameramann bei der Arbeit. Er ist mir erst aufgefallen, als ich direkt in sein Filmgerät mit den drei roten Lämpchen sah sowie in das entsetzte Gesicht dahinter. Andererseits, was stellt der Typ sich auch ausgerechnet in den einzigen Engpaß?
Erschrocken bin ich sofort zur Seite, hab mich quasi verdrückt. Ich hab’s mir hinterher angeschaut. Und bin beeindruckt. Von mir. Von meinen filmischen Fähigkeiten. Ist mir doch tatsächlich auf Anhieb die berühmte Kinski-Schraube geglückt, dank der es der Schauspieler mit dem irren Blick schaffte, plötzlich vor der Kamera aufzutauchen und voll in sie hineinzustarren. Ja, geht eigentlich ganz leicht. Schade nur, daß ich nicht mehr draus gemacht habe. Ich hätte wenigstens winken können.
Na ja, beim nächsten Mal. In einer Stadt wie Berlin gerät man ja ständig in den Focus einer Kamera. Die fernseherprobten Berlinerinnen und Berliner reagieren mit Ignoranz darauf. Lange vorbei sind die Zeiten, wo selbst Zuschauer in Fernsehstudios reflexartig zu winken begannen, sobald das rote Licht einer auf sie gerichteten Kamera aufleuchtete.
Neulich, das war ja gar nicht mein erstes Mal in der Abendschau. Vor ein paar Jahren haben die mal einen Bericht über mich gemacht. Unter anderen wurde ich in der U-Bahn gefilmt, wie ich eine Stelle aus meinem ersten Roman vorlese, in dem es um U-Bahn fahrende Menschen geht, die ins Nirgendwo stieren, um bloß nicht ihre Mitreisenden angucken zu müssen. Und im Beitrag war ich dann zu sehen, wie ich zwischen lauter ins Nirgendwo stierender Menschen in der U-Bahn sitze und aus meinem Buch vorlese.
Im Grunde müßten wir Berlinerinnen und Berliner pauschal ein Statistenhonorar erhalten, damit wir uns weiterhin unauffällig verhalten, wenn wir durch irgendein Bild laufen. Schließlich braucht vor allen das Fernsehen uns als Atmo, als atmosphärische Kulisse. Sonst könnten die Reporter ja auch einfach im Studio stehen. Nur würden dann alle auf den belanglosen Inhalt ihrer schnöden Sätze achten.
Um das allgemeine Statistenhonorar durchzusetzen, könnten wir uns solange ungebührlich verhalten. Brüllen, hüpfen, fallen lassen, die Filmcrew angreifen oder uns einfach nackt machen, sobald wir eine Kamera bemerken. Das bringt natürlich bloß was bei LiveSendungen. Wäre doch schön: Vorne wird Angela Merkel interviewt oder Til Schweiger, und im Hintergrund ziehen sich alle aus.
Andererseits muß man aufpassen, daß man nicht im falschen Moment sichtbar wird. Ein Mann knutscht die Geliebte, und seine Frau sieht das live in der Tagesschau, weil im Vordergrund Ulli Deppendorf steht und aktuelle Einschätzungen zur Bundespolitik aufsagt. Oder – noch ein Ulli – Ulli Zelle berichtet von einer Party, während im Hintergrund jemand in die Bowle reihert. Und am nächsten Tag hast du dreihundert neue SMS und Mutti fragt, ob du krank bist.
Als ich klein war, so in den Achtzigern, saß ich mal vor der Tagesschau und die berichtete von einem Kongreß, auf dem auch mein Vater war. Wow, dachte ich gerade, mein Vater ist ja fast wichtig, wenn er wo ist, worüber in der Tagesschau berichtet wird, und schon lief er tatsächlich durchs Bild. Zwischen Kamera und Reporter hindurch, den Kopf leicht gesenkt. Er hat nicht mal bemerkt, daß er gefilmt wurde.
Ich dagegen, live in der Abendschau! Schiebe mich einfach so ins Bild. Gerade noch ist der abendblaue Himmel zu sehen, und kurz darauf nur ich. Das war überraschend für alle. Sonst hätte ich ja bestimmt so einen Balken bekommen, wo immer die Namen der zu Sehenden eingeblendet werden: »Thilo Bock, latscht gerne mal ins Bild.«
Daraus könnte man fast einen Beruf machen. Wenigstens ein Hobby. Oder eine Kunstform. Eine Bewegung. Flash Mob war gestern, ab jetzt gibt es die Ins-Bild-Latscher!
Ja, Leute! Laßt Euch nicht länger als willenlose, unbezahlte Statisten für einen lebendigen Reporterhintergrund mißbrauchen! Latscht durch jede Kameraeinstellung, die Euch auffällt. Experimentiert mit den Möglichkeiten. Schleicht Euch an und schraubt Euch plötzlich ins Bild. Oder kommt von unten und hüpft dann hoch! Mal sehen, wer sich mehr erschreckt: der Kameramann oder der Zuschauer zu Hause. Euch kann’s egal sein.