Gestern waren wir im Atomkraftwerk Kernkraftwerk. Von ›Atomkraft‹ spricht hier niemand. Allenfalls Albert Einstein. In großen roten Lettern wird er an der Wand des Konferenzsaals im Besucherzentrum des Kraftwerks Brokdorf zitiert: »Welch triste Epoche, in der es leichter ist, ein Atom zu zertrümmern, als ein Vorurteil!«
›Plutonium‹ wird ebenfalls nur ungern in den Mund genommen. ›Uran‹ aber ist okay. Uran ist schließlich ein Rohstoff und im Grunde ein heimischer Primärenergieträger, weil er sich prima bevorraten läßt. So ‘n Kilo Natururan hat den gleichen Energiegehalt wie 18.900 Kilogramm Steinkohle. Und den Platz braucht man ja auch erstmal. Oder Braunkohle!Die hiesigen Vorkommen werden wohl noch fünfhundert Jahre reichen, aber da müsse noch die eine oder andere Kirche auf den Anhänger. So was sagt Hauke Rathjen, Head of Standortkommunikation im Kernkraftwerk Brokdorf. Rathjen liebt solche Sprüche und schickt ihnen gleich noch ein lausbübisches Grinsen hinterher. Seine Brille ist randlos, sein kurzes, angegrautes Haar pomadisiert. Rathjen sagt auch, daß er natürlich mit dem Auto zur Arbeit komme. Fahrrad? ruft er lachend in den Raum, Sie erzeugen Ihren Strom doch auch nicht selber!
Nein, für so was gibt es schließlich Kraftwerke. Kernkraftwerke. KKWs. Und in solch einem sitzen wir an diesem Morgen mit gut zwanzig Mitgliedern der Seniorenunion Elmshorn. Widerspruch ist hier nicht zu erwarten, und wir beschränken uns auch lieber aufs Dokumentieren.
Es geht um lächerliche Vorkommnisse, um diesen blöden Trafoschaden, neulich im AKW KKW Krümmel. Daß deswegen ein ganzer Energiesektor in Frage gestellt werde! Ein ähnlicher Defekt an einem Transformator im Kohlekraftwerk Karlsruhe habe dagegen niemanden interessiert, dabei habe das damals viel schöner gebrannt, sagt Rathjen. Er habe eine Video davon.
Einer der Senioren merkt an, die Betreiber der Atomkraftwerke seien nicht offensiv genug. Wenn in Brokdorf die Toilettenspülung nicht mehr funktioniere, gelte das ja schon als Störfall. Gelächter. Rathjen nickt. Aber eigentlich ist er ja für die Witze da. Einen Tick zu breitbeinig steht er vor der Leinwand für die Schaubilder. Er vertritt eine Branche, die es bald nicht mehr geben soll. Zumindest wenn die von der damaligen rotgrünen Bundesregierung ausgehandelten Laufzeiten nicht doch verlängert werden. Ohnehin Rotgrün! Und diese Künast! Würde man Rathjen nicht so genau zuhören, könnte man meinen, die Wahlergebnisse von vor vier Jahren seien hier kurz vor der Nordsee noch immer nicht angekommen. Obwohl, das sagt Rathjen später, eigentlich sei es ja ein Qualitätsmerkmal von Kernenergie, sie habe sogar Rotgrün überstanden. Aber wer weiß, ob wir im September nicht doch Rotrotgrün bekommen, mit Oskar Lafontaine als Wirtschaftsminister, da kann man gleich schon mal ein Visum beantragen. Auch das sagt Rathjen.
Visum wohin? Vielleicht nach Finnland? Da scheint die Welt schließlich noch in Ordnung zu sein, denn in Finnland würden Zusagen für die Errichtung eines Endlagers noch volksfestmäßig gefeiert. Und in Frankreich, dieser Grande Nation, ist die Welt auch noch so wie sie immer war. Da werde gerade das sechzigste AKW KKW gebaut und gewiß darauf spekuliert, daß man den zusätzlichen Atomstrom schön an Deutschland verkaufen könne.
Das sei ja ohnehin das Tolle an der Globalisierung. Das geringste Problem mit dem Abschalten hätten die Betreiber, sagt Rathjen, allenfalls ein vorübergehendes Liquiditätsproblem. Wenn wir keinen eigenen Atomstrom mehr erzeugen dürfen, kriegen wir ihn eben aus dem Ausland. Und die heimischen Produzenten, die sowieso international aufgestellt sind, weinen dazu ein paar Krokodilstränen. Wir sind die Aschenputtel der Energiebranche, sagt Rathjen, niemand nimmt uns mit zur großen Party. Aber eigentlich sei man ja selber schuld daran, von niemanden gemocht zu werden.
Schlechte Pressearbeit also? Ist Rathjen nicht selber für so was zuständig? Er müßte sich doch damit auskennen, schließlich will er jahrelang für den Springerverlag gearbeitet haben. Zwischendurch hatte sich ja sogar die Bildzeitung für Ökostrom stark gemacht, aber das ist ein anderes, bizarres Thema.
Zumal Atomenergie ja strenggenommen und eigentlich die Umwelt schützt! Jedenfalls solange bis es ›Puff‹ macht und alle Häuser umfallen und dazu die Kühe. Der Supergau könne bei einer Wahrscheinlichkeit von 10-12 ohnehin ausgeschlossen werden, sagt Rathjen, da falle einem eher noch der Himmel auf den Kopf beziehungsweise ein Komet.
Und nur mit Windmühlen könne man nun wirklich keine Industrienation mit Strom versorgen. Rathjen fragt sich laut, ob wir in zehn Jahren überhaupt noch eine sein werden. Daß Deutschland seine AKWs KKWs abstellt, sei so, als würde sich die brasilianische Fußballnationalmannschaft auflösen.
Rathjen kann auch nicht verstehen, warum wir Exportweltmeister keinen Strom exportieren wollen. Dazu zeigt er uns eine Europakarte. Zwischen den Ländern gehen Pfeile hin und her, die zeigen, wer wieviel Strom wohin liefert. Die Pfeile nach Deutschland sind dunkelviolett, die aus Deutschland heraus sehr hellblau. Einer der Senioren bemerkt, daß man die Pfeile für den Export kaum erkennt. Ob das Absicht sei? Rathjen verneint. Den Zahlen zufolge exportieren wir deutlich mehr Strom als wir importieren. Ich spreche Rathjen auf das vorhin gesagte an. Er behauptet, ich hätte ihn falsch verstanden.
Brokdorf hat einen Druckwasserreaktor. Wir kochen also auch nur mit Wasser, sagt Rathjen, die Hausfrauen unter Ihnen kennen das Prinzip vom Schnellkochtopf her. Die Hausfrauen unter uns nicken. Die anderen auch. Schnellkochtöpfe kennt jeder. Die sind einfach zu verstehen. Atomkraft scheint wirklich eine simple Angelegenheit zu sein.
Beim AKW KKW spielen jene Tugenden, die uns Deutsche mal bekannt gemacht haben, eine Rolle, sagt Rathjen, nämlich Sauberkeit und Ordnung. Das will man ihm gerne glauben, wo doch auch die Atombombe eine saubere Sache ist, die ordentlich aufräumt. Im Zentrum der Kernschmelze bleibt von den Opfern nur der Schatten zurück.
Doch so richtig aufgeräumt sieht es auf dem Kraftwerksgelände, das wir anschließend besichtigen dürfen, nicht aus. In des Kraftwerks Kern, unter die Kuppel des Reaktors, lassen sie uns nicht, dafür seien wir zu viele. Trotzdem muß man sich auch schon für die Besichtigung der Generatoren durchleuchten lassen und sich ausweisen. Auf jeden Fall ist Strom ziemlich laut. Insgesamt sieht die Anlage wie eine normale Fabrik aus, seltsam banal. Überall steht etwas herum, in einer Ecke stapeln sich leere Kabeltrommeln. Dort, wo Strom gemacht wird, braucht man eben eine lange Leitung.
Dabei ist es mit den Leitungen gar nicht so leicht. Brokdorf leitet seine Abwärme nicht an Haushalte, weil – so Rathjen – die einhunderttausend Besucher, die wir 1976 hatten, das verhindert hätten. Durch eine Gegendemonstration hindurch konnte man eben keine Leitung legen. Ohnehin, so Rathjen, sei die Abwärme von Kernenergie ideologisch schwer zu vermitteln.
Da verhält es sich ähnlich wie mit der Wiederaufbereitung. Die ist bedauerlicherweise verboten. Ich habe in der Küche drei Mülleimer, sagt Rathjen, das wird alles recycelt, aber unsere Brennelemente müssen wir verbuddelt. Dabei könnte man das Zeug noch prima verkaufen. Zum Beispiel an den Russen. Auch an den Perser? Ja, an den auch. Die Ungeheuerlichkeit seiner unüberlegten Antwort entgeht wahrscheinlich sogar ihm selber.
Draußen steht schon Essen bereit. Wir aber wollen noch über die äußere Sicherheit des AKWs KKWs sprechen. Aber da gibt’s auch nicht viel zu sagen. Natürlich ist es sicher. Da könnte auch ‘ne Boing reinkrachen. Zumal die Kuppel natürlich keine Kunst am Bau sei, diese Form habe man gewählt, um den Aufprallwinkel zu verändern, erklärt Rathjen, da dringt auch nichts durch. Erstmal werde es draußen natürlich lichterloh brennen wegen des vielen Kerosins, aber zehn Stunden lang halte die Anlage garantiert total dicht. Und dann müßten halt Menschen kommen und sich um alles weitere kümmern. Genaueres sagt Rathjen nicht.
Einer der Senioren spricht das erhöhte Aufkommen von Leukämiefällen rund um das Kraftwerk Krümmel an. Das sei ein sogenanntes Krebscluster, sagt Rathjen, und Krümmel das einzige KKW mit derartigen Auffälligkeiten. Kennen Sie den texanischen Scharfschützen? fragt er, der schießt erst auf die Wand und malt dann die Zielscheibe rund um die Löcher. Genauso funktionierten Statistiken.
Nein, hier in Brokdorf habe niemand ein Problem mit dem Kraftwerk. Man hat den Leuten ja auch ein kostenloses Schwimmbad und eine Eissporthalle errichtet. Das erwähnt Rathjen nicht, er sagt nur, daß im Ort 78 Prozent die CDU wählen würden. Und Sie kennen das ja auch mit der Storchdichte, sagt Rathjen, je mehr Störche irgendwo leben, desto mehr Kinder werden geboren.
Der Betreiber des AtomKernkraftwerks Brokdorf bietet seinen Mitarbeitern einen Kurs an, bei dem sie sich das Rauchen abgewöhnen können. Der käme ohne Psychotricks aus, verspricht ein Plakat, auf daß Sie kerngesund werden. Das Leben bleibt lebensgefährlich, sagt Rathjen und eröffnet das Büffet. Vor dem Konferenzsaal stehen drei offene Minicastoren, aus denen es dampft. Die ersten Senioren tragen Teller mit Koteletts, Kartoffeln und grünen Bohnen herein. Manch einer mag noch an den Schnellkochtopf denken. Sollte so einer mal explodieren, ist das ja auch nicht so schlimm. Da landet allenfalls ein bißchen Suppe an der Tapete.