Post von der Zeit

zeitbriefDr. Rainer Esser hat mir einen Brief geschrieben. Der liegt schon eine Weile im Papierchaos auf meinem Schreibtisch, ich habe ihn gerade wiedergefunden und endlich geöffnet. Dr. Rainer Esser ist Geschäftsführer des Zeitverlages. Offenbar geht es dem Unternehmen nicht gut. Deshalb vertickt es nicht nur seine dicke Zeitung, sondern auch den »ZEIT-Kulturführer«, der mich in »5 großformatigen Bände mit je 864 Seiten die ganze Welt der Kultur – Literatur, Oper, Schauspiel, Konzert und Malerei« erleben ließe. Wenn ich ihn denn bestellte. Für nur einhundertneunundachtzig Euken, wobei ich fast zwanzig Prozent sparte. Dazu bekäme ich noch eine Hörbuch-CD »Thomas Mann«, müßte keine Versandkosten zahlen und wenn ich mich beeile, erhielte ich zudem noch zehn Euken als »Treue-Bonus«. Dr. Rainer Esser weiß, daß neunundachtzig Euken nicht gerade wenig Euken sind, dafür bekäme man fast fünfzig Tage lang das Sarrazinmenü. Deswegen versucht Dr. Rainer Esser, mich zu bezirzen, indem er mich einen »Premium-Kunden« nennt. Nur wie kommt er auf so was? Und warum überhaupt habe ich einen »Treue-Bonus« verdient? Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wann ich das letzte Mal eine Zeit gekauft habe. Ich weiß nur, daß ich mal auf der Datenbahn nachts um halb drei ein kostenloses Probeheft des von Dr. Rainer Essers Verlag herausgegebenen Studenten- oder Jugendmagazin bestellt habe. Ich fand das so mies, daß ich mich weder an Namen noch Zielgruppe erinnern kann. Ich hoffe für alle Beteiligten, es wurde inzwischen wieder vom Markt genommen. Seitdem bekomme ich ständig Post vom Zeitverlag. Neulich schrieb mir schon mal Giovanni di Lorenzo. Den habe ich mal vor Jahren aus einem feinen italienischen Lokal irgendwo in Charlottenburg gehen gesehen, an seiner Seite eine blonde Frau, die fast doppelt so groß war wie er. Eigentlich bin ich ganz froh, durch leichtsinniges Preisgeben meiner persönlichen Daten lediglich vom Zeitverlag analog zugespamt zu werden und nicht versehentlich ein Gebot abgegeben zu haben für das einst entdeckte Angebot von zweihundertachtundachtzig Fünf-Kilo-Dosen Brühwurst, deren Mindesthaltbarkeit nur noch drei Monate betrug.

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