In Berlin warten wir oftmals vergeblich auf Busse und Bahnen. Für die tageszeitung habe ich mich auf die Suche nach diesen Verschwindibussen gemacht. Hier meine Reportage.
BVG
Riding with the bear
Vormittags in der U2. Oder: Mit dem Teddy nicht in den ersten Wagen.
Der Abgrund unter Berlin
Berlin hat eine neue Attraktion. Besser gesagt: Die Berliner U-Bahn ist um eine Skurrilität reicher. Denn zumindest in der U2 werden die Stationen seit Neuestem von sogenannten Prominenten angesagt. Das lässt einen schnell mal von der Bank rutschen, sollte man das Glück eines Sitzplatzes haben bei gleichzeitigem Entschluss gegen Eigenberieselung. Weil man vielleicht lesen möchte. Und sogleich schallt es einem fröhlich entgegen: »Hallo hier spricht Dieter Hallervorden. Bei der nächsten Station wartet auf Sie die Kuh Elsa. Und die nächste Station ist – Mohrenstraße.«
Was hat der Meister des Blackfacings da gerade gesagt? Palim palim? Und warum um Himmels Willen? Wirklich lange nachdenken lässt sich darüber nicht. Es sei denn, man steigt aus, um die Kuh Elsa nicht länger warten zu lassen. Die Kuh Elsa stammt übrigens aus ‘m alten Witz vom Didi, und der Witz hat einen noch längeren Bart als der Weihnachtsmann.
Bleibt man jedoch sitzen, radebrecht einem Anastejjscha entgegen, dass die »nächstäh Stazion hisst statt Mitte«. Wobei damit schon zwei der prominenteren Teilnehmer dieses abgrundtiefen Spektakels genannt worden sind. Denn die meisten Promis sind so bekannt, dass sie ihren Beruf dazusagen müssen, damit man sie einigermaßen einordnen kann.
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Be a Touristenattraktion
Wim Wenders hat mal in einem Interview erzählt, wie er beim Überqueren der Kantstraße hörte, daß der Stadtbilderklärer in einem vorbeifahrenden Touristenbus sagte: »Und rechts überquert Wim Wenders die Straße.« Daraufhin habe er sich gefragt, ob er nun regelmäßig über die Kantstraße müsse – so als Touristenattraktion.
Inzwischen sind wir in Berlin Lebenden generell zu Touristenattraktionen geworden. Man fotografiert uns einfach und ohne uns zu fragen. So wie auch dieser, die deutsche Sprache nicht beherrschende junge Mann. Als ich ihn auf englisch darauf hinwies, daß man Menschen vorher fragen sollte, bevor man sie knipst, hat er geantwortet, höfliche Menschen würde er durchaus fragen. Deswegen habe ich ihn auch nicht gefragt, als ich dann abgedrückt habe. Trotzdem respektiere ich seine Privatsphäre. Aus diesem Grund ist sein Gesicht unkenntlich gemacht.
Poperze
Da stehste so am Straßenrand mit juckender Poperze,
Und schwupps kommt schon ein Bus vorbei und treibt mit Dir noch Scherze.
Da kannste lange warten
Herr P. ist heute geschäftlich in Berlin. Seine Firma bezahlt ihm ein anständiges Hotel hinterm Zoologischen Garten. Abends trifft er sich mit alten Freunden bei einem guten Italiener im Prenzlauer Berg zu treffen. Allzu spät soll er nicht werden, er muß Freitag früh raus. Ein Taxi will er vermeiden, so viel verdient er nicht. Einer der Freunde versichert, mit der BVG komme man auch nachts gut ans Ziel. Er druckt ihm ein paar Verbindungen aus. Herr P. guckt nur auf die jeweiligen Startzeiten, und das wird ihm leider zum Verhängnis werden.
Na ja, ans Ziel wird er ja kommen. Nur die Kosten für das Hotelzimmer hätte sich die Firma sparen können.
U-Bahn-Party
So vor zwanzig Jahren habe ich mal von einer S-Bahn-Party gehört. Eine Horde junger Menschen stürmte einen S-Bahnwagen und machten ihn zum Festwaggon. Sie hatten Bierkästen dabei, einen Ghettoblaster und vielleicht noch ein paar Dekoelemente. Vorhandene Fahrgäste mußten mitfeiern, ob sie wollten oder nicht.
Seitdem wollte ich auch gern einmal so eine Guerillaparty mitmachen. Anfang der Neunziger planten ich und zwei, drei Gleichgesinnte eine U-Bahnsilvesterparty mit Palettenbier, Knabberkram und Luftschlangen. Leider wollten keiner unserer Freunde mit uns fahren. Weshalb wir damals am Ende einer halblangen Nacht in diversen Verkehrsmitteln auf einer zweifelhaften Feier in Lübars verendet sind. Meine einzige Freude ist ein Laib Graubrot gewesen, dessen Geschmack mich so betört hat, daß ich ihn nicht bloß die ganze Zeit mit mir rumgetragen habe, nein, ich mußte zudem noch jeden nötigen, von dem Brot zu kosten.
Erst neulich erfuhr ich durch Zufall, daß ein mir gut bekannter Weddinger Zampano damals bei der eingangs erwähnten S-Bahnparty dabeigewesen ist. Sofort blühte die alte Idee erneut in mir auf. Um am nächsten Tag gleich wieder zu verwelken.
Am Wochenende war es endlich soweit. Ich war mitten drin in einer U-Bahnparty. Eine Horde junger Menschen stürmte am Bahnhof Warschauer Straße einen Waggon, klebte gelbe Müllsäcke vor die Lampen, hängte eine kleine Diskokugel auf, wuchtete Sternburgkästen auf die Sitze und stellte eine Box daneben, aus der sehr laute Elektrobeats dröhnten. Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Gruppe kreischte, die Gruppe tanzte ein wenig, die Gruppe fotografierte sich gegenseitig mit ihren iPhones. Alle waren bester Laune. Nur einer nicht.
Ich war nämlich gegen Mitternacht übermüdet, aber fröhlich nach der Abschlußfeier der diesjährigen Sommerschreibwerkstatt aufgebrochen, um möglichst schnell in mein Bett zu kommen. Hatte mich mit Gepäck durch die Partymeute auf der Warschauer Brücke gekämpft und danach registriert, daß ich mich ab Möckernbrücke auf Schienenersatzverkehr einstellen mußte. Gerade fing mein Walkman an, mir leise Tönen ins Ohr zu schmeicheln, als ich keinen Ton mehr davon vernahm. Die Box der feierwilligen Meute war lauter. Gerne hätte ich den Waggon gewechselt, doch wie, ohne beim Umsteigen zu riskieren, nicht schnell genug zu sein. Dafür mußte ich mir anhören, was für ‘n Spielverderber ich sei. Klar, mein Koffer stand auf ihrer Tanzfläche, aber der stand ja schon da, bevor es eine wurde.
Ich glaub, für manche Sachen bin ich inzwischen wirklich zu alt.
Olafur Eliasson
Kunst ist ja so ‘ne Sache. Man mag sie oder eben nicht. Jedenfalls auf emotionaler Ebene. Oder ist es zu langweilig, etwas sofort zu mögen? Kann man sich an einem Bild sattsehen, daß einem auf Anhieb gut gefällt, weshalb man es sich übers Sofa hängt? Braucht Kunst eine intellektuelle Ebene, einen Grund für eine nähere Beschäftigung, damit sie sozusagen groß wird? Oder sind am Ende selbst die blaue Flächen eines Yves Klein mit den Gemälden Caravaggios vergleichbar?
Das sind so Fragen. In Zeiten, in denen versucht wird, Ausstellungen zu Events zu hochzugeigen, sind sie aber wohl müßig. Neulich war ich im Berliner Martin-Gropius-Bau. Dort finden gleich zwei große, mit viel Vorschußlorbeeren versehene Ausstellungen statt. Die Schlange reicht bis zur nächsten Straßenecke. Schlaue Menschen buchen Ihr Ticket daher im Internet.
Bei Frida Kahlo war ich nicht. Nur bei Olafur Eliasson. Und ich hatte meinen Spaß. In gleich mehreren Räumen gibt es lustige Schattenspielereien. Auch weitere Installationen spielen mit dem Auge des Betrachters. Vielmehr machen sie den Betrachter zum Teil des Werks. Das ist raffiniert, mir allerdings gleichzeitig etwas zu dürftig. Um nicht zu sagen banal. Mit experimentellen Effekten kann man sich auch im Technikmuseum vergnügen. Bloß behauptet dort niemand, daß es sich um Kunst handelt. Weshalb wohl die Eintrittskarte weitaus weniger als die Hälfte kostet.
Schön dagegen finde ich die Idee Eliassons, seine Kunst auch außerhalb des Museums zu präsentieren, im öffentlichen Straßenland. So ließ er Holzbohlen als Treibholz in der Stadt verteilen und auch einige Fahrräder, deren Räder durch runde Spiegel ausgetauscht waren. Dies alles schien schnell wieder verschwunden zu sein, findige Sammler reckten ihre langen Finger.
Pfingsten ist nun eins dieser Fahrräder in Prenzlauer Berg aufgetaucht und es steht dort noch heute. Doch angesichts seines Zustands wünscht man sich fast, jemand hätte sich seiner erbarmt und das Schloß geknackt. Denn nach nur wenigen Tagen ist es total ramponiert, die Spiegel sind zigfach gesprungen und teilweise abgesplittert (unteres Bild). Der öffentliche Raum verträgt wohl keine Kunst. Zum Glück kommt niemand auf die Idee, einen Caravaggio an einer Berliner Straßenecke abzustellen. Statt dessen läßt die BVG ihre Betonbuden verzieren wie hier am Nordbahnhof. Und das spottet jeden Vergleichs.
Nachtrag vom 15. Juni 2010: Die zerstörten Spiegelräder sind mittlerweile durch neue ausgewechselt worden.
Nachtrag vom 19. Juli 2010: Mittlerweile ist quasi nichts mehr übrig von dem Fahrrad. Nur das Schloß und der Rahmen hängen noch am Ständer.
Nur eine Rolle
In der U-Bahn ein junger Bärtiger mit runder Brille und dunklem Zopf. Seine legere Kleidung ist grau und schwarz, aber auf dem Kopf trägt er einen grünen dreispitzigen Hut mit angedeuteter Patina, der eher auf die Theaterbühne oder einen Dreimaster paßt als Samstag abends in die U9. Er liest konzentriert in einem großformatigen Buch, das Zeichnungen von Segelschiffen enthält. Ich bin begeistert. Später sehe ich auf dem Einband, es ist ein Buch zum Rollenspiel Schwarzes Auge. Anerkennend stelle ich still fest, daß mein Gegenüber seine Rolle überzeugend verkörpert.