Alles
Currywurst frisch vom Feld
Der Currywurstverzehr ist nicht frei von Risiken. Deshalb züchtet das Bundesinstitut für Risikobewertung seit Neuestem eigene Currywürste. Die wachsen komplett mir scharfer Soße am Stengel und werden pünktlich zum Erntedankfest im Oktober an die hungernde Bevölkerung Marienfeldes verteilt.
Wie’s schmeckt, weiß noch keiner, wobei die Zeichnung ein Hinweis sein könnte. Ist das nicht? Ja, sicher, das ist ja wohl niemand anderes als Mr. Hankey, der beliebte Weihnachtskot aus South Park!
Maurenbrecher für alle
Manfred Maurenbrecher ist dieses Jahr sechzig geworden, und genau die Hälfte seines Lebens hat er auf Bühnen gestanden. Natürlich nicht andauernd, aber beständig. Es war also höchste Zeit, ihn zu ehren. Und weil’s irgendwer tun muß, haben Andreas Albrecht, Heiko Werning und ich versucht, möglichst viele Freunde, Weggefährten und Bewunderer Manfreds zusammenzubringen, um für eine Hommage einige seiner Lieder neu aufzunehmen. Es hat eine Weile gedauert, doch in einem Monat erscheint endlich Maurenbrecher für alle, eine Box mit drei CDs mit insgesamt 62 Stücken. Mehr hätte gar nicht raufgepaßt. Weiterlesen
U-Bahn-Party
So vor zwanzig Jahren habe ich mal von einer S-Bahn-Party gehört. Eine Horde junger Menschen stürmte einen S-Bahnwagen und machten ihn zum Festwaggon. Sie hatten Bierkästen dabei, einen Ghettoblaster und vielleicht noch ein paar Dekoelemente. Vorhandene Fahrgäste mußten mitfeiern, ob sie wollten oder nicht.
Seitdem wollte ich auch gern einmal so eine Guerillaparty mitmachen. Anfang der Neunziger planten ich und zwei, drei Gleichgesinnte eine U-Bahnsilvesterparty mit Palettenbier, Knabberkram und Luftschlangen. Leider wollten keiner unserer Freunde mit uns fahren. Weshalb wir damals am Ende einer halblangen Nacht in diversen Verkehrsmitteln auf einer zweifelhaften Feier in Lübars verendet sind. Meine einzige Freude ist ein Laib Graubrot gewesen, dessen Geschmack mich so betört hat, daß ich ihn nicht bloß die ganze Zeit mit mir rumgetragen habe, nein, ich mußte zudem noch jeden nötigen, von dem Brot zu kosten.
Erst neulich erfuhr ich durch Zufall, daß ein mir gut bekannter Weddinger Zampano damals bei der eingangs erwähnten S-Bahnparty dabeigewesen ist. Sofort blühte die alte Idee erneut in mir auf. Um am nächsten Tag gleich wieder zu verwelken.
Am Wochenende war es endlich soweit. Ich war mitten drin in einer U-Bahnparty. Eine Horde junger Menschen stürmte am Bahnhof Warschauer Straße einen Waggon, klebte gelbe Müllsäcke vor die Lampen, hängte eine kleine Diskokugel auf, wuchtete Sternburgkästen auf die Sitze und stellte eine Box daneben, aus der sehr laute Elektrobeats dröhnten. Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Gruppe kreischte, die Gruppe tanzte ein wenig, die Gruppe fotografierte sich gegenseitig mit ihren iPhones. Alle waren bester Laune. Nur einer nicht.
Ich war nämlich gegen Mitternacht übermüdet, aber fröhlich nach der Abschlußfeier der diesjährigen Sommerschreibwerkstatt aufgebrochen, um möglichst schnell in mein Bett zu kommen. Hatte mich mit Gepäck durch die Partymeute auf der Warschauer Brücke gekämpft und danach registriert, daß ich mich ab Möckernbrücke auf Schienenersatzverkehr einstellen mußte. Gerade fing mein Walkman an, mir leise Tönen ins Ohr zu schmeicheln, als ich keinen Ton mehr davon vernahm. Die Box der feierwilligen Meute war lauter. Gerne hätte ich den Waggon gewechselt, doch wie, ohne beim Umsteigen zu riskieren, nicht schnell genug zu sein. Dafür mußte ich mir anhören, was für ‘n Spielverderber ich sei. Klar, mein Koffer stand auf ihrer Tanzfläche, aber der stand ja schon da, bevor es eine wurde.
Ich glaub, für manche Sachen bin ich inzwischen wirklich zu alt.
Gisberts Heimspiel
Ein herrlicher Sommerdonnerstagabend und selbst das Rauschen der nahen Schnellstraße wirkt fast maritim. Auf der großen Wiese inmitten des Weinguts des Barons zu Knyphausen im beschaulichen Erbach bei Eltville sind Zelte aufgebaut, die meisten, um vor möglichem Regen zu schützen, was unnötig ist, denn der tiefblaue Himmel ist wolkenlos. Es gibt einen Essensstand, betrieben von der sogenannten ›Diktatur des Geschmacks‹. Der Name ist Programm, der Anspruch ›Hausmannskost goes Lifestyle‹ dagegen eher nicht. Es gibt nämlich Hotdogs in großen, labbrigen Brötchen mit Eisbergsalat und Streukäse. Und das ausschließlich. Vegetarische Alternativen sind nicht vorgesehen, man kann aber gern auf die Wurst verzichten, bei gleichem Preis.
Am Getränkestand gibt es hauptsächlich Wein, was auf einem Weingut sinnvoll ist, wer da Bier bestellt, dem ist sowieso nicht geholfen. Man kann ihn glasweise kaufen oder gleich eine ganze Flasche. Baron zu Knyphausen benennt einige seiner Weine nach seinen fünf Söhnen. Einer heißt Gisbert. Den gibt es als Riesling und als Pinot noir. Und es gibt ihn, also Gisbert zu Knyphausen, nicht den Wein, auf CD. Seine erste habe ich im letzten Sommer beinahe ausschließlich gehört. Gestoßen bin ich auf ihn, weil der Rolling Stone mein Buch besprochen hat, weshalb ich im Zeitschriftenladen darin blättern wollte. Ging aber nicht, denn das Heft war eingeschweißt wegen einer Beilagen-CD mit einem Konzertmitschnitt Gisberts. Ich begann, mich mit seiner Musik zu beschäftigen, war begeistert von seinen Texten, wie seit langem nicht mehr.
Denn natürlich waren ich und die gut achthundert anderen nicht wegen des Weines oder des schönen Ambientes nach Erbach gekommen. Jedenfalls nicht zuvorderst. Auf der Mitte der Wiese stand ein Pavillonzelt mit einer niedrigen Bühne, vollgestellt mit Instrumenten. Gisbert gab sein alljährliches Heimspiel, und aus ganz Deutschland waren die Freunde seiner Musik sowie Familie gekommen, um ihm und seiner grandiosen Band an diesem wunderschönen Sommertag zuzuhören. Zwischendurch brachte ihm seine Oma ein Glas Wein, und Gisbert bat um einen Applaus für die zarte weißhaarige Dame, ohne die »wir heute alle nicht hier wären«. Die Oma lächelte selig, und alle anderen auch.
Das ist die Kunst Gisberts: Lieder zu schreiben, die fröhlich stimmen, so trübsinnig ihr Inhalt mitunter ist. Nicht zufällig verspricht er der Melancholie, daß sie ihn nie kleinkriegen werde. Das Konzert beginnt er dann auch gleich mit einem, wie er sagt, besonders melancholischen Song, dann haben wir es hinter uns. »Herzlichen Glückwunsch / Du hast alles verloren«. In Sommertag beschreibt er das lähmende Gefühl, nie wieder aus dem Sessel hochzukommen, in dem man es sich bequem gemacht hat, doch kaum klingelt das Telefon, ist man rasend schnell am Apparat – vielleicht wird man ja gebraucht. Und sowieso, wenn man sich einmal mit dem Dasein abgefunden hat, ist es eigentlich ganz schön. Eben wie ein wunderschöner Sommertag.
Gisbert zu Knyphausens Melodien sind leicht und sehr eingängig, die Arrangements nicht zu soft. Wer ihn mit Reinhard Mey vergleicht, den ich durchaus schätze, sieht nur die Gitarre und hat zudem was an den Ohren. Die ersten zwei deutschsprachigen Platten von Element of Crime sind ähnlich, und trotzdem ganz anders. Sven Regner begegnete der Schwermut zwar mit Humor, bloß ist der leicht zu überhören und dann wirken die Songs mitunter bräsig. Statt Ironie kommt bei Gisbert eine latente Fröhlichkeit zum Zuge. Selbst im Trennungsschmerz erinnert er sich an das Lachen der Verflossenen und bittet sie, dieses Lachen bei sich zu tragen, wenn sie geht, »ich mag es sehr«. Manchmal ist er dann auch tieftraurig und untröstlich. Wenn jemand stirbt, na klar. Wobei, ganz am Ende von Seltsames Licht heißt es: »Aber wir sehen uns wieder ganz bestimmt. / Irgendwann.«
Gisbert, der »Freund von Klischees und funkelnden Sternen«, hat so seine Schwierigkeiten mit der Schwerkraft. Wo ist oben, wo unten? Singt Gisbert, nimmt er uns die Flugangst, auf daß uns allen wunderbare Flausen aus dem Kopf wachsen.
Das Konzert ist vorbei, aber keiner mag gehen. Es ist auch noch reichlich Wein da. Und am Himmel funkeln die Sterne. Es ist kühl geworden, am Ende eines Sommertages im Rheingau.
Selbst die skeptische adlige Verwandtschaft zeigt sich zufrieden. Am Imbißstand höre ich jemand hinter mir sagen, sie alle seien ja heilfroh, daß aus dem Gisbert doch noch was geworden sei.
Neuerdings wohnt Gisbert zu Knyphausen nach einigen Hamburger Jahren wieder in Berlin. Und am Freitag gibt er ein Konzert im Heimathafen Neukölln. Hingehen! Das ist ein Befehl.
Eiswürfel im Aquarium
Zu WM-Zeiten hat man spätestens ab eins einen Grund, den Fernseher einzuschalten. Oder den Livestream. Oder das Radio. Oder man geht gleich in die Kneipe. Früher, so vor fünfzehn Jahren, mußte man sich in gewissen Kreisen noch rechtfertigen, warum man bei Schwarzrotgold mitfiebert, wo ja die andere Länder viel schöneren Fußball spielen könnten. Na ja.
Heute muß man schon viel Geduld haben, um sich uneingeschränkt einer Partie zu widmen. Oder waren Gruppenphase immer gurkig? Ich erinnere mich jedenfalls noch gut an jenen Sommertag vor vier Jahren, wo wir zu lange am Flughafensee gelegen haben und dann eilig durch Reinickendorf und Wedding geradelt sind, auf der Suche nach einem öffentlichen Fußballguckort, möglichst unter freiem Himmel. Schließlich trat Frankreich gegen die Schweiz an, da hatten wir uns ein gutes Spiel erhofft.
Gelandet sind wir damals schließlich in der stickigen Hütte vom Bootsverleih am Plötzensee, vor einem kleinen Fernseher mit zwei schnatternden, älteren Blondinen – kieken aber nur, wenna och wat trinkt –, der Sonne im Nacken, einem kleinem Hund mit viel Fell, der bevorzugt unter meinem Stuhl hockte, und einem Ex-Fremdenlegionär mit Basecap und Knasttattoos, der in regelmäßigen Abständen durchs Bild schlurfte, um beispielsweise Eiswürfel ins Aquarium schüttete, damit die Fische nicht so schwitzen. War ja och janz schön warm da, das Nullzunull dafür jedoch weitaus unterhaltsamer, als wenn wir es woanders geguckt hätten.
Olafur Eliasson
Kunst ist ja so ‘ne Sache. Man mag sie oder eben nicht. Jedenfalls auf emotionaler Ebene. Oder ist es zu langweilig, etwas sofort zu mögen? Kann man sich an einem Bild sattsehen, daß einem auf Anhieb gut gefällt, weshalb man es sich übers Sofa hängt? Braucht Kunst eine intellektuelle Ebene, einen Grund für eine nähere Beschäftigung, damit sie sozusagen groß wird? Oder sind am Ende selbst die blaue Flächen eines Yves Klein mit den Gemälden Caravaggios vergleichbar?
Das sind so Fragen. In Zeiten, in denen versucht wird, Ausstellungen zu Events zu hochzugeigen, sind sie aber wohl müßig. Neulich war ich im Berliner Martin-Gropius-Bau. Dort finden gleich zwei große, mit viel Vorschußlorbeeren versehene Ausstellungen statt. Die Schlange reicht bis zur nächsten Straßenecke. Schlaue Menschen buchen Ihr Ticket daher im Internet.
Bei Frida Kahlo war ich nicht. Nur bei Olafur Eliasson. Und ich hatte meinen Spaß. In gleich mehreren Räumen gibt es lustige Schattenspielereien. Auch weitere Installationen spielen mit dem Auge des Betrachters. Vielmehr machen sie den Betrachter zum Teil des Werks. Das ist raffiniert, mir allerdings gleichzeitig etwas zu dürftig. Um nicht zu sagen banal. Mit experimentellen Effekten kann man sich auch im Technikmuseum vergnügen. Bloß behauptet dort niemand, daß es sich um Kunst handelt. Weshalb wohl die Eintrittskarte weitaus weniger als die Hälfte kostet.
Schön dagegen finde ich die Idee Eliassons, seine Kunst auch außerhalb des Museums zu präsentieren, im öffentlichen Straßenland. So ließ er Holzbohlen als Treibholz in der Stadt verteilen und auch einige Fahrräder, deren Räder durch runde Spiegel ausgetauscht waren. Dies alles schien schnell wieder verschwunden zu sein, findige Sammler reckten ihre langen Finger.
Pfingsten ist nun eins dieser Fahrräder in Prenzlauer Berg aufgetaucht und es steht dort noch heute. Doch angesichts seines Zustands wünscht man sich fast, jemand hätte sich seiner erbarmt und das Schloß geknackt. Denn nach nur wenigen Tagen ist es total ramponiert, die Spiegel sind zigfach gesprungen und teilweise abgesplittert (unteres Bild). Der öffentliche Raum verträgt wohl keine Kunst. Zum Glück kommt niemand auf die Idee, einen Caravaggio an einer Berliner Straßenecke abzustellen. Statt dessen läßt die BVG ihre Betonbuden verzieren wie hier am Nordbahnhof. Und das spottet jeden Vergleichs.
Nachtrag vom 15. Juni 2010: Die zerstörten Spiegelräder sind mittlerweile durch neue ausgewechselt worden.
Nachtrag vom 19. Juli 2010: Mittlerweile ist quasi nichts mehr übrig von dem Fahrrad. Nur das Schloß und der Rahmen hängen noch am Ständer.
Freiheit für Tobias
Eigentlich wollte Tobias nur schnell ein Päckchen bei der Packstation aufgeben, nun ist er durch einen falschen Knopfdruck in ihr gefangen. Freunde bemühten sich bislang vergeblich darum, ihn dort wieder rauszukriegen.
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Die Entstehung der Nacht
Es gibt nur wenige Bands neben den Beatles, die seit zwanzig Jahren zum Soundtrack meines Lebens gehören. Eine davon sind die Goldenen Zitronen. So begannen meine Versuche als Musikjournalist mit einem Interview mit Schorsch Kamerun und Ted Gaier. Daß mein damaliger Kompagnon Helge und ich überhaupt gefragt worden waren und zudem noch eine Vorabkassette des Albums Punkrock bekamen, war gelinde gesagt eine Sensation für uns. Das war fast so gut, wie ein Interview mit den Beatles in Aussicht gestellt zu bekommen. Weiterlesen