Vergangenen Mittwoch um drei Uhr in der Nacht ist Michael Stein nach monatelanger Krankheit gestorben. Ich habe ihn kaum gekannt, so daß es verlogen wäre, ihn wie einen Freund oder auch nur guten Bekannten zu betrauern. Doch ist mit ihm ein herausragender Bühnenkünstler abgetreten, ein kompromißloser Provokateur, der oftmals besser zu verstören vermochte als zu begeistern, und dessen Aktionen nachhaltiger waren als man das im Augenblick ihrer Durchführung gedacht hätte. Weiterlesen
Alles
Träume, die ich gerne hätte, erster Teil
Ich sitze in einem ziemlich mittigen Café aus Chrom und Glas am Mittagstisch und esse Salat. Eigentlich hatte ich einen gemischten bestellt, aber als der Kellner mit einem Teller grünem ankam und mich frage, ob ich der Caesar’s Salat sei, habe ich aus Hunger bejaht, zumal mir die seltsame Ausdrucksweise gastronomischen Personals durchaus vertraut ist. Vielleicht verhält es sich mit dem Speisenamen ähnlich. Der Anblick des Salats läßt zwar gemischte Gefühle aufkommen, er selber aber ist eher gut sortiert: Viel, viel Grün, Parmesan, Croutons und ein salziges Dressing mit fischigem Nachgeschmack lassen sich zwar durchaus durcheinanderbringen, mir fehlt es indes trotzdem an Gurke und Mais. Dann tritt auch noch ein hagerer Kerl an meinen Tisch mit marmorierter Steinplatte. Albernerweise ist er mit einem Laken bekleidet und trägt Laub im schütteren Haupthaar. Er spricht mit Akzent, wohl italienisch, ich bin mir plötzlich sogar sicher, eine etruskische Einfärbung herauszuhören, vielleicht irre ich mich aber auch. Das ist mein Salat! sagt er herrisch. Weiterlesen
Das Glück eines Liedes
In letzter Zeit habe ich viel neue Musik gehört, über die ich gerne noch schreiben möchte. Eine alte Idee aufnehmend, möchte ich aber nicht ganze CDs besprechen, ich bin ja auch kein Plattenrezensent, ich möchte mich in meinen Fragmenten jeweils nur einem Lied widmen, obwohl die Auswahl da manchmal schwerfällt. So auch bei Manfred Maurenbrechers neuem, wirklich tollen Album Glück. Trotzdem habe ich mich für das zweite Stück entschieden. Augen habe ich zum ersten Mal gehört und sofort ins Herz geschlossen, als Manfred es neulich bei der Lesershow Wedding gesungen hat, was ja auch kein Wunder ist, schließlich besitze ich die CD erst seit diesem Abend, aber der Song selbst ist bereits vor einundzwanzig Jahren auf Maurenbrechers Album Schneller leben erschienen. Weiterlesen
Flüchtige Kunst
Donnerstagabend war ich bei der Eröffnung der Ausstellung der vier Wettbewerbsprojekte für den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst im Berliner Hamburger Bahnhof. Mein Kunstbegriff hört ja irgendwo in der klassischen Moderne auf, Ausnahmen bestätigen die Regel, aber Vorurteile sind eben nur erlaubt, wenn man sie regelmäßig überprüft. Zudem durfte ich meine beiden Lieblingskünstlerinnen vom Labor K1 begleiten, die sogar Sekt dabei hatten, damit ich nicht ganz so enttäuscht wäre, an einer Vernissage teilzunehmen, auf der weder Sekt noch Schnittchen gereicht würden. Weiterlesen
Midipop is back
Konrad Endler hat mir seine neue CD Midipop Revival geschenkt, selbstgebrannt und mit einem liebvoll handbeklierten Cover, aber das macht überhaupt nix, denn es ist die beste CD, die ich seit langem gehört habe, und es ist eine Schande, daß es sie nicht mindestens an jeder Supermarktkasse zu kaufen gibt! Der Sound erinnert ein wenig an die Neue Deutsche Welle, aber mehr Richtung Foyer des Arts, die ja nie wirklich NDW waren. Die Songs sind alle großartig, und wären sie wirklich schon fünfundfünfzig Jahre alt, dann würden sie gewiß auf jeder Achtzigerjahrerevivalparty gespielt werden. Doch im Gegensatz zu den meisten Liedern von damals – ausgenommen denen von Ideal – sind Konrads Texte großartig, poetisch, scharf, liebevoll, lustig und weitsichtig. Weiterlesen
Doktor Bocks Lappenkaffee
Ein Mann wie der Wind
Es ist an der Zeit, einen ziemlich vergessenen Autor, wenn nicht schon zu preisen, dann doch wenigstens an dieser Stelle zu erwähnen: Helmut Domke. Bislang findet man seinen Namen im Internet fast nur in Literaturlisten, seine Bücher gibt es bloß noch antiquarisch. Lediglich das Westfälische Autorenlexikon verrät ein wenig mehr über ihn: 1914 in Recklinghausen geboren, 1939 promoviert, vom Weltkrieg schwerbeschädigt, 1986 gestorben. Domke war Feuilletonist, vor allem aber hat er Reiseführer verfaßt, Reiseliteratur eigentlich, im besten Sinne schwülstig, in ihrem hohen Ton heute mitunter allerdings unfreiwillig komisch. Weiterlesen
Vergriffen
Ich war mir nicht mehr sicher, an welchen Tag Ende Juni es genau war, doch eben habe ich nachgeschaut und tatsächlich: Genau heute vor zehn Jahren glaubte ich, es würde losgehen, denn am Abend des 27. Juni 1997 wurden mir die ersten zehn Exemplare meines ersten Buches überreicht, bevor ich dann als mit anderen, unveröffentlichten Jungautoren im längst todsanierten Kulturhaus Mitte einen Text daraus las. In der taz stand hinterher was von einem „kabarettähnliche[n] Vortrag“, der Höhepunkt der Lesung gewesen sei. Weiterlesen
Abschied von Schöppingen
Heute bin ich entlassen worden, mein Aufenthaltsstipendium im Künstlerdorf Schöppingen ist abgelaufen, weshalb ich diese Zeilen bereits im Zug schreibe. Natürlich bin ich froh, zurück in die große Stadt zu kommen, doch habe ich in den letzten zwei Monaten das Landleben durchaus schätzen gelernt, wobei ich mich ja in einer gewissen Zwischenzone aufgehalten habe und eben nur auf Zeit, die Kontakte zu den Eingeborenen waren äußerst begrenzt und fanden überwiegend beim Erwerb von Lebensnotwendigem statt, sieht man mal von dem Abend in der Zwiebel ab, nach dem ich eine Weile beim Gang durch den Ort glaubte, ständig auf Leute zu treffen, mit denen ich dort gequatscht habe, doch konnte sich wohl keiner mehr an mich erinnern. Weiterlesen
Frau im Mond
In Fritz Langs großartigen, aber nur noch Eingeweihten und arte-Zuschauern bekannten letzten Stummfilm Frau im Mond wird eine Rakete zum Mond geschossen. Die Bilder sind eindrucksvoll, einige technische Details sogar bemerkenswert, wäre nur die Geschichte nicht so hanebüchen, aber das haben die Drehbücher, die Thea von Harbou für Fritz Lang geschrieben hat, leider immer an sich: Die Visionen sind stark, doch die Handlung ist Murks, auch wenn sie durchaus spannend ist.