Das Haus von Amon Göth wird derzeit grundsaniert. Es ist auch in einem äußerst schlechten Zustand. Dem Dach fehlen sämtliche Balken, einigen Fenstern die Scheiben. Man könnte meinen, der Abriss stünde kurz bevor, doch der neue Eigentümer plant den Umbau zu einem Mehrfamilienhaus. Bald werden wieder Menschen in der Villa eines Massenmörders wohnen. Wie sich das wohl anfühlt?
Man glaubt, das Gebäude aus dem Film Schindlers Liste zu kennen, hat vor Augen, wie der als »Schlächter von Plaszow« in die Geschichte eingegangene Göth vom Balkon aus wahllos auf Häftlinge schießt. Und tatsächlich soll er in seinen 500 Tagen als Kommandant des Konzentrationslagers Plaszow 500 Menschen eigenhändig ermordet haben. Doch obwohl die Villa im Film der realen nachempfunden ist, stand sie, wie die ganze Kulisse an einer anderen Stelle, etwa eineinhalb Kilometer entfernt von ihrem Vorbild am Rand des großen Steinbruchs. Das Original, in dem nun Bauarbeiter zugange sind, steht in einer Senke. Einen guten Blick über das Lager hat man von hier aus nicht gehabt.
Geschossen haben soll Göth ohnehin vom Balkon eines anderen Gebäudes, dem sogenannten Grauen Haus. Auch das existiert noch in Nachbarschaft zur Villa. Es ist deutlich besser erhalten. Trotzdem erinnert keine Inschrift an seine Geschichte, an die Zellen und Stehbunker im Folterkeller. Nur dicke Gitter geben eine Ahnung des Grauens. Man hätte eins der Häuser zu einem Museum machen können. Vor ein paar Jahren sollen in der Villa Göths noch Originalmöbel vorhanden gewesen sein. Im Internet findet man entsprechende Fotos (vgl. hier). So jedoch erinnert wenig an das ehemalige Konzentrationslager, in dem bis zu 24.000 Menschen gleichzeitig eingesperrt waren, die zur Arbeit gezwungen wurden, Demütigungen ertragen und jederzeit damit rechnen mussten, ermordet zu werden. Oft bloß wegen einer Laune des sadistischen Lagerkommandanten. Wer nach Krakau reist, wird unausweichlich mit der Frage konfrontiert, ob er einen Abstecher ins 60 km entfernte Auschwitz unternehmen sollte, das längst zum Touristenmagneten geworden ist. An jeder Ecke wird für organisierte Touren geworben. In eineinhalb Stunden ist man dort. Dass man nur 16 Minuten braucht, um mit der Straßenbahn zum ehemaligen KZ Plaszow zu gelangen, wissen dagegen allenfalls gut Informierte.
Der Weg führt mitten durch das ehemalige, von den Deutschen errichtete Ghetto im Stadtteil Podgórze, vorbei an einem Spielplatz, an dessen Rand etwa fünfzig Meter der Mauer erhalten sind, die den jüdischen Bezirk umgab. Deren Gestaltung ließ den Eingepferchten keinen Spielraum für Illusionen über ihr Schicksal: Die Mauer erinnert an die Form jüdischer Grabsteine. Immerhin, auch ein Ort damaliger Hoffnung, die inzwischen zu einem Museum ausgebaute Deutschen Emailwarenfabrik Oskar Schindlers, befindet sich in Fußnähe.
Eine Station weiter steigt man in einem Neubaugebiet aus. Vorbei an der Filiale einer amerikanischen Fast-Food-Kette führt ein Fußweg zu einer ruhigen Wohnstraße, wo einem sogleich die marode Villa Göths ins Auge fällt. Die heutige ulica Heltmana hieß zu seinen Zeiten SS-Straße. So wie die SS bestehende Gebäude in das zu errichtende Lager integrierte, sind sie nun wieder Teil der Siedlung. Das ehemalige Offizierscasino ist heute ein Mehrfamilienhaus. Vor den Fenstern des Grauen Hauses blühen Geranien.
Ohne Vorbereitung sind die spärlichen Überbleibsel auf dem Gelände des ehemaligen KZ leicht zu übersehen. Mein erster Besuch des Ortes endete im Gestrüpp, weil mich der Reiseführer in die Irre führte und nirgends Wegweiser aufgestellt sind. Im Netz habe ich dann Ryszard Kotarbas 2014 publizierten historical guide to the german camp in płaszów 1942-1945 gefunden. In Krakaus Buchhandlungen, auch in den jüdischen in Kazimierz, blieb meine Suche nach Derartigem ergebnislos. Das Büchlein ist ein guter Begleiter einer Spurensuche. Außerdem empfiehlt sich die Mitnahme des originalen Lageplans. Eine ausführlichere Studie Kotarbas zum gleichen Thema liegt lediglich in polnischer Sprache vor. Auf Deutsch gibt es bloß Bücher über Oskar Schindler und Amon Göth sowie über dessen schrille Familiengeschichte. In den letzten 70 Jahren ist viel Gras über Plaszow gewachsen.
Das leicht hüglige, grüne Gelände wirkt wie ein Idyll mit ein paar liegengebliebenen Ruinen, Trümmer der von den Nazis gesprengten Leichenhalle von zwei an dieser Stelle einst existierenden jüdischen Friedhöfen. Ein Flügel dieses Gebäudes hat den Krieg sogar überdauert. Hier sollte ein Pumpwerk entstehen. Ohnehin war eine Expansion des Lagers geplant, inklusive Gaskammern. Von den Friedhöfen ist ein einziger Grabstein erhalten geblieben. Mit den anderen wurden Wege und Lagerstraßen gepflastert. Die existieren natürlich nicht mehr. Aber ihre Nachbildung aus Beton, Teil der Kulisse für Schindlers Liste, befindet sich nicht weit entfernt auf dem Gelände des oben erwähnten Steinbruchs. Von Büschen flankiert, ist sie auch aus der Entfernung zu sehen. Ahnungslose mögen sie für echt halten. Entsprechende Berichte findet man im Internet.
Der riesige Appellplatz ist noch heute erkennbar. Die Dimension des gesamten Lagers war immens. An mehreren Stellen erinnern Mahnmale an stattgefundene Gräueltaten. Am 10. September 1939, also vier Tage nach Besetzung der Stadt durch die Wehrmacht, wurden an der damals noch existierenden Friedhofsmauer 13 willkürlich Ausgewählte erschossen – als Vergeltung für einen unaufgeklärten Zuckerdiebstahl. Dies war die erste Massenexekution durch Deutsche in Krakau.
Für die bis zu 8.000 Ermordeten und zu Tode Geschundenen wurde 1964 am anderen Ende des Geländes ein gewaltiges Mahnmal errichtet, dort, wo regelmäßig größere Gruppen hingerichtet wurden. Massengräber hat es in Plaszow ebenfalls gegeben. Die 2.000 Leichen der bei der Liquidierung des nahegelegenen Ghettos ermordeten Juden waren nicht die einzigen, die man hier verscharrt hat. Im Sommer 1944 mussten 150 Häftlinge sechs Wochen lang die Toten exhumieren und verbrennen, um diese Verbrechen zu vertuschen. Augenzeugen sprechen von 17 Lastwagenladungen Asche, die anschließend auf dem Areal verstreut wurde. Heute schieben in Plaszow Mütter Kinderwagen über Asphaltwege, abends werden auf der Wiese Bierdosen geleert. Dank der Dreharbeiten Steven Spielbergs 1993 ist das Bewusstsein für die jüdische Geschichte Krakaus wieder erwacht. Seit zehn Jahren erinnert in Podgórze ein aus 33 überdimensionierten Stühlen bestehendes Denkmal an die Liquidierung des Ghettos. Zu hoffen bleibt, dass weitere Orte der von Deutschen verübten Verbrechen noch sichtbarer und erfahrbarer gemacht werden, auf dass niemals Gras über die Narben, die die Geschichte hinterlassen hat, wachse.