30 Jahre. Mehr als die Hälfte meines Lebens. Im Sommer 1992 Abitur. Und davor meine erste abendfüllende Lesung. Mein erster Schreibanstifter Erhard Schwandt lud mich ein, im Literaturcafé der Jugendkunstschule Atrium im Märkischen Viertel meine Gedichte vor Publikum zu lesen.
Ein paar Songs hatte ich auch geschrieben und mich zu Hause dazu am Klavier begleitet. Vor Publikum wagte ich das noch nicht, weshalb ich meine Kumpels Olli, Felix und Flo bat, ein paar meiner Lieder bei der Lesung zu spielen. Die drei bildeten zusammen mit Schlagzeuger Rudi die Punkband Brainless Wankers, die seit einiger Zeit an unserer Schule für Furore sorgten, nicht nur wegen des Namens. Zu meinem 18. Geburtstag im Vorjahr hatten sie in unserem Partykeller gespielt – so laut, dass die meisten Gäste lieber in den Garten gegangen waren. Ich fand’s super.
An jenem 5. März 1992 ließen die Wankers die E-Gitarren zu Hause und spielten einen Akustikset. Und ich las stapelweise traurige Gedichte. Zum Startgedicht tackerte bedeutungsschwer ein Metronom. Meine Lyrik folgte vor allem meinen damals großen Vorbildern Erich Fried, Hans Magnus Enzensberger und Thomas Brasch, ich hängte mich inhaltlich an Else Lasker-Schüler und Orpheus, bedichtete den Frieden und die unerfüllte Liebe, versuchte mich an Sonetten und präsentierte deren – von mir entwickelte – Gegenform das Tenos. Eins davon kam besonders gut an:
Zu meiner zweiten Lesung im Atrium erschien im Dezember 1992 die Broschüre „nachdröhn“, die auch diese grafische Fassung enthielt.
Dem zahlreich erschienenen Publikum schien es insgesamt zu gefallen, in den folgenden Wochen und Monaten wurde ich zu weiteren Veranstaltungen dieser Art eingeladen. Und irgendwie hat sich mit der langen Zeit manches ge- und verändert, aber Bühnen sind nach wie vor Orte, auf denen ich mich einfach wohlfühle. Um es mit meinem Freund Rüdi Bierhorst zu sagen: ich bin seit dreißig Jahren bühnensüchtig. Und die Verantwortung tragen all die Menschen, die mir in diesen 30 Jahren zugehört und applaudiert haben. Dem gilt mein unendlicher Dank, wie er auch allen Kolleginnen und Kollegen gehört, mit denen ich gemeinsam performen durfte.