Uff eemal klopp’s

ick_kieke_UNGESTRICHEN.indd»Ick sitze da un esse Klops. / Uff eemal klopp’s.« So fängt eins der bekanntesten Gedichte in berlinischer Mundart an. Viele können es auswendig und gehen davon aus, dass die Geschichte von dem Klops essenden Icke, der sich vor der eigenen Tür wiederfindet, ein Produkt des Volksmund ist, ein Straßen- oder Kinderreim der Kategorie Icke, dette, kieke mal. Dabei wird diese hier eher auf die Schippe genommen, liebevoll versteht sich. Erschienen ist der Text erstmals 1925 im Europa-Almanach von Paul Westheim und Carl Einstein. Noch im gleichen Jahr wurde er als Klopslied von Kurt Weill vertont.

Wer aber hat diese unsterblichen Verse geschrieben? Zum Urdruck wird angemerkt: »Jemand fand in Berlin ein Blatt Papier, auf dem dieses mit Jean de Bourgois unterzeichnete Gedicht stand.« Jean de Bourgois? Hans von Piefke? Sogar das Pseudonym spielt mit dem Berlinischen, wo so Vieles französisch anmutet, von der Bulette bis zu den Fisimatenten, die man so gerne den französischen napoleonischen Besatzungssoldaten zuschreiben würde, dabei stammt das Wort weder aus Berlin noch aus dem 19. Jahrhundert.

Wurde das Klopsgedicht am Ende von Carl Einstein selber geschrieben? Dafür gibt es keinen Hinweis. Zumindest aber dürfte es dem Kreis der Berliner Avantgardisten entsprungen sein.

Dies ist nur eine von vielen interessanten Entdeckungen, die ich zusammen mit Ulrich Janetzki und Wilfried Ihrig im Laufe des vergangenen Jahres machen durfte, als ich mit ihnen Berliner Mundartgedichte gesammelt habe. Neben den üblichen Verdächtigen wie Adolf Glaßbrenner und Kurt Tucholsky haben wir unzählige Gedichte des Vielschreibers Friedrich Eduard Moll gefunden, über den leider nichts Näheres bekannt ist. Begeistert haben uns auch die Gedichte von Robert Gilbert, einem der erfolgreichsten Schlagertexter der Zwanzigerjahre. Wie so viele musste er emigrieren, als den Nationalsozialisten im Deutschen Reich die Macht überlassen worden war. Die Mundart blieb ihnen letztes Stück Heimat. Sie lag ihnen schlichtweg auf der Zunge. »Manchmal berliner ick aus’n Traume«, dichtete Walter Mehring, und Erich Weinert wetterte als Max von ‘n Bülowbogen über Radio Moskau jejen Joebbel und Konsorten:  »Herr Joebbels jeht jetz wie uff Eier / Und winkt uns mit en Blumenstrauß. / Der war doch sonst son jroßer Schreier. / Den jeht woll ooch de Puste aus.«

Andere Autoren blieben dem Regime gegenüber loyal. Die berlinische Mundart, die oft so frech daherkam und vor allem während der Weimarer Republik Kampfjargon der Arbeiterklasse geworden war, ließ sich zähmen. Der junge Günter Neumann dichtete anfangs harmlose Kabarettlieder. Das Höchste der Gefühle war da der Ärger einer Frau auf ihren von der Front schreibenden Gatten. »Man kann sein’n Mann doch nie allein lassen! / Nich eenmal im Kriech!« Neumanns große Zeit sollte die des Kalten Krieges werden, als er mit den Insulanern via RIAS Westberliner Durchhaltewillen demonstrierte. In seinem Nachlass sind wir ebenso fündig geworden wie in dem von Jurek Becker. 1965 hat er in einem Couplet für Die Distel Missstände ostdeutschter Planwirtschaft fast liebevoll angeprangert: »Det is zwar noch keen Beenbruch, doch ärjerts einen sehr.«

Auch heute wird noch lyrisch berlinert. Mancher hat für uns seine Schubladen und Festplatten durchforstet, darunter die Bachmannpreisträger Katja Lange-Müller und Peter Wawerzinek. Sogar ich habe mal zwei berlinernde Sonette geschrieben.

Und falls jetzt wer fragt: Wo kann ick ditte denn nachlesen? Im März erscheint unsere Anthologie Ich kieke, staune, wundre mir bei der Anderen Bibliothek. Wunderbar gestaltet wurde der mit Bärenfellimitat bezogene Band von Susanne Bax. Bei Lesungen werden wir Herausgeber das Buch lautstark vorstellen. Schließlich handelt es sich hier vornehmlich um Vortragstexte.

Die Buchpremiere findet am 11. April 2017 im Literarisches Colloquium Berlin statt. Neben den Herausgebern werden Katja Lange-Müller und Ahne lesen. Zuvor gibt es bereits einige Auftritte auf der Leipziger Buchmesse. Termine und Adressen finden Sie hier.

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Ick kieke, staune, wundre mir …
Berlinerische Gedichte von 1830 bis heute
Gesammelt und ediert von Thilo Bock, Wilfried Ihrig und Ulrich Janetzki,
gestaltet von Susanne Bax.
Samtiges Bezugsmaterial mit einer feinen Berliner-Bärenfell-Struktur, Fadenheftung, Lesebändchen. Nummeriert und limitiert.

Die Andere Bibliothek, März 2017.
ISBN: 9783847703877
42,00 EUR

 

 

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